Jamaika – immer noch im Lockdown

Unser Besuchervisum läuft am 30. Mai ab. Weil wir sicher noch ein paar Tage (oder Wochen) hier sein werden, müssen wir das Visum verlängern. Also fahren wir am 29. Mai per Sammeltaxi in das 10 km weiter der Küste entlang gelegene St. Ann’s Bay, wo sich das Immigrationsbüro befindet. Im Warteraum füllen wird die uns ausgehändigten Papiere aus und übergeben sie wieder der Dame, die sie uns gegeben hat. Nach einer halben Stunde kommt sie zurück mit den Rechnungen für die Administrationsgebühr. 70 USD pro Person, stolz, aber ok. Wir bezahlen die Gebühr umgehend am uns zugewiesenen Schalter und überreichen der Dame die Quittung. Wieder dürfen wir im Warteraum Platz nehmen, bis die Chefin der Dame, die Immigrationsbeamtin, bereit ist für ein Interview. Nach 20 Minuten ist es soweit. Eine korpulente, stämmige Dame, mit der man(n) keinen Streit haben will, empfängt uns. Freundlich erklärt sie uns, dass wir als Schweizer Bürger für eine Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung einen Visa Waiver brauchen. Ok, wir nicken. Als wir den nächsten Satz der Dame hören, fallen wir fast vom Stuhl. «Das kostet 50’000 Jamaika Doller (350 USD) pro Person». Was?? 700 USD damit wir ein paar Tage länger hier bleiben können. Pia beginnt mit weinerlicher Stimme auf die Beamtin einzureden. Köbi versucht es mit anderen Argumenten. Aber die Frau, mit der man(n) keinen Streit haben will, bleibt dabei. Ok, wir müssen kurz besprechen, was wir nun tun wollen. Köbi fragt nach, ob wir vielleicht mit dem Schweizer Konsulat in Kingston kurz telefonieren dürfen. Ja, ja, kein Problem, aber nicht hier sondern im Warteraum. Also wir wieder ins Wartezimmer. Köbi versucht, das Konsulat in Kingston anzurufen, und schreibt dann dem Konsul ein WhatsApp, als niemand das Telefon beantwortet. Da auch diese Kontaktaufnahme so schnell nicht klappt entscheiden wir gemeinsam, am nächsten Tag abzureisen. Aber wohin? Egal, wir entscheiden uns für die Abreise. Wieder im Büro der Immigrationsbeamtin teilen wir ihr unseren Entscheid mit, und bitten sie, statt einer Verlängerung die Ausreisedokumente zu erstellen. Erstaunt blickt sie uns an, schluckt einmal leer. Irgendwie scheint sie nicht mit diesem Entscheid gerechnet zu haben. «Dann wollt ihr also morgen abreisen?» vergewissert sie sich. Köbi murmelt achselzuckend und resigniert: «wollen nicht, aber wir müssen!». Mit einem kurzen Seitensatz, dass sie ihren Supervisor informieren wolle, bittet uns die stämmige Dame wieder ins Wartezimmer. Eine halbe Stunde später kommt sie mit einem breiten Lächeln und unseren Pässen – mit Verlängerung von drei Monaten!! Wir sind perplex und die Beamtin strahlt. Koch’sche Schauspielkunst und Brem’sches Verhandlungsgeschick machen es möglich. Wir jubeln und bedanken uns überschwänglich bei ihr. Dann schlüpfen wir beschwingt und fröhlich durch die Türe des Gebäudes, das wir vor drei Stunden betreten haben.

Wird ein Unikat in Pia’s Pass sein: der gelöschte Ausreisestempel von Jamaica

Heute ist der 1. Juni 2020. Seit mehr als 2 Monaten liegen wir nun in Ocho Rios vor Anker und hoffen, dass einige der Restriktionen, die bis zum 31. Mai angeordnet waren, aufgehoben werden. Bis gestern waren wir und mit uns fast alle Jamaikaner im Glauben, die meisten Geschäfte, Restaurants, Pärke, Strände und dergleichen können ihren Betrieb wieder aufnehmen, weil von offizieller Seite keine anders lautende Information kommuniziert wurde. Heute Morgen aber haben wir per WhatsApp vom Schweizer Konsul Ueli Bangerter aus Kingston die offizielle Nachricht erhalten, dass praktisch alle Massnahmen bis 30. Juni weiter Gültigkeit haben. Nur die Grenzen werden per 15. Juni geöffnet. Unsere Stimmung ist für einen kurzen Moment im Keller. Wir hatten uns darauf gefreut, doch noch einige der Sehenswürdigkeiten hier in Jamaika besuchen zu können und unsere Rundreise mit dem Schiff um Jamaika herum fortzusetzen. Zerschlagen! Aber die Niedergeschlagenheit dauert nur kurz: nun wissen wir endgültig, dass wir von hier direkt, eventuell mit einem Tankstopp in Port Antonio (falls das erlaubt wird) in Richtung Süden aus der Hurrikan Zone abrauschen werden.

Bekanntes Bild: Lupina alleine vor leerem Strand und leeren Hotels. Nur die leitenden Angestellten des Hotels sind noch da. Der Hotelbesitzer hat ihnen erlaubt, von ihren kleinen Arbeiterwohnungen im hinteren Bereich des Areales in die Suiten des Hauptgebäudes umzuziehen. So sieht das Hotel bewohnt aus und sogar am Strand gibt es am Abend den einen oder anderen Badenden
Der öffentliche Strand bleibt mindestens bis 30.Juni geschlossen
Viel Zeit um an der Infrastruktur Unterhalt zu machen. Ein Strassenverkäufer hat an seinem Gefährt die Räder für einen Pneu Wechsel (??) ausgebaut
Das musikalische Blut und die gesellige Ader der Jamaikaner können wir nur erahnen. Strassen Partys und spontane Feste bleiben weiterhin aus. Übrigens das gegenseitige Berühren mit der Faust, das hier die beiden Männer (einer davon stellt den guten alten Bob Marley dar) symbolisieren, bedeutet: ich respektiere dich und was du tust und bist ist gut! Fast jeden Abend rudert ein Fischer mit seinem Kajak an uns vorbei, hebt die Faust und ruft: «Respekt Captain!» Köbi antwortet dann jeweils mit «Respekt Fisherman!» – natürlich auch mit dargehaltener Faust 😊

Wir sind seit dem 22. März hier am Anker. Ausser ein paar von der Marine Polizei bewilligten, ja sogar angeordneten Ausfahrten auf das offene Meer hinaus, um die Fäkalientanks zu leeren, müssen wir mit dem Schiff in der Bucht bleiben. Ansonsten befinden wir uns in einem tiefen Entspannungsmodus und geniessen einfach das Sein und das Jetzt. Etwas Routine hat sich auch breit gemacht: jeden Morgen nach dem Aufstehen (einfach dann, wenn wir beide wach werden) und dem erfrischenden Bad im klaren Meerwasser folgt ein gemütliches Frühstück.

Unser übliches Frühstück mit selbst gebackenem Brot, Butter, Käse, feinem Birchermüesli, frischen Früchten und natürlich Lavazza Kaffee (den uns Besucher aus der Schweiz jeweils mitbringen)
Nach dem Frühstück: viel Zeit für uns auf dem oder im Wasser

Wir haben eine lokale SIM-Karte mit unlimitierter Datenmenge. Vor allem zur heissen Tageszeit, wenn die Sonne maximal auf Deck brennt, ist es im Schiffsbauch sehr angenehm kühl. Da sind wir dann stundenlang an unseren Computern: beantworten E-Mails, tummeln uns im Facebook (unsere Freunde wundern sich wohl, wieso wir in letzter Zeit so aktiv sind 😉), lesen Reiseberichte von anderen Seglern, planen unsere Weiterreise. Und vor allem, und darauf sind wir sehr stolz: wir lernen mit einem Online-Programm täglich mindestens zwei Stunden Spanisch! Die Fortschritte sind schon recht beachtlich und wir freuen uns auf die spanisch sprechenden Länder von Zentral- und Südamerika.

Unser Büro im Schiffsbauch. Abends, zum Schauen von Filmen und Tagesschau zügeln wir damit ins luftige Cockpit
Lange aufgeschobene (weil nicht so wichtige) Arbeiten werden erledigt. Hier baut Köbi eine Solarlampe um. Das Ding funktioniert mit einem Bewegungsmelder. Wenn man sich nicht bewegt, löscht sie wieder. Nun hat Köbi den Bewegungsmelder mit einem einfachen Ein-/Ausschalter ersetzt
Darf bei einem Landgang nie fehlen: feine Glacé schlemmen. Fast jeden Tag machen wir einen Landgang, um frisches Gemüse, Obst und sonstige Lebensmittel zu besorgen. Da uns eine längere Überfahrt bevorsteht, wenn wir dann hier den Anker lichten, wird auch einiges zusätzlich gebunkert.
In unserem Lieblingslokal mit feinem Kaffee-Frappé. Zum Glück offerieren einige Restaurants Take-away
Auch das darf an Bord nicht fehlen: guter Rum! Der «Overproof Rum» (rechts) hat 63% Alkohol und eignet sich hervorragend für Drinks. Köbi meint auch: zum Desinfizieren wäre er pur am Besten 😊
Einkaufen und Landgang machen wir meistens am frühen Nachmittag, wenn es auf der Lupina unerträglich heiss wird. Am späteren Nachmittag (so ab 4 Uhr) kehren wir aufs Schiff zurück. Da brennt die Sonne schon nicht mehr so heiss und die Hängematten am Bug vorne werden zu unserem luftigen Aufenthaltsort
So gegen 18 Uhr wird der «Overproof» hervorgeholt und wir mischen uns einen leckeren Sundowner
Lesend, plaudernd, oder einfach nichts tuend geniessen wir jeden Sonnenuntergang von Neuem aus unseren Hochsitzen am Bug
Nach Sonnenuntergang, der hier aktuell um ungefähr 18:40 Uhr stattfindet, und nachdem die Nacht sich über die Bucht gelegt hat, zieht es Pia in die Combüse, wo sie immer etwas Leckeres auf unsere Teller zu zaubern versteht
Feine (aber scharfe) lokale Gewürzzutaten. Nebst Rum soll auch das die Viren fern halten 😊😊
Dinghi-Drifting zum Sonnenuntergang. Wir fahren mit dem Dinghi im Flachwasser zwischen Riff und Festland rund zwei Seemeilen der Küste entlang, stellen den Motor ab und lassen uns von Wind und Wellen der untergehenden Sonnen entgegentreiben. Immer wieder ein wunderschönes Erlebnis
Dinghi-Drifting zum Sonnenuntergang: der «Sundowner» ist auch dabei
Und endlich ist er da – der lang ersehnte Regen!! Es hat schon seit über zwei Monaten nicht mehr geregnet. Das Deck der Lupina ist schon richtig staubig. Der Regen beginnt zuerst zaghaft, dann aber setzt ein richtiger Tropenregen mit haselnussgrossen Regentropfen ein
Noch vor wenigen Minuten waren wir froh um den Schatten spendenden Sonnenschutz, nun wirkt er als Wasserrinne
So schnell wie er gekommen ist, so schnell verzieht sich der Regen wieder. Der ständig blasende Passat Wind treibt die dichte Regenwolke über unsere Köpfe hinweg nach Westen. Schon bald scheint die Sonne wieder. Die gut 30mm Niederschlag haben aber unsere Lupina in kurzer Zeit blitz blank gewaschen 😊
Regen in der Stadt
Seit wir unsere Segelreise vor genau zwei Jahren angefangen haben, waren wir noch nie so lange am gleichen Ankerplatz. Es sind schon über 70 Tage! Und das unglaubliche daran: wir fühlen uns noch immer wohl hier und geniessen jeden Tag von Neuem. Wir sind richtig tiefenentspannt

Wie geht es nun weiter? Die ersten beiden tropischen Stürme sind bereits über den nördlichen Bereich der Karibik hinweggezogen. Ab heute gilt in der Karibik offiziell die Hurrikan Zeit. Jamaika liegt in der Hurrikan Zone. Erfahrungsgemäss bleibt es aber bis Anfangs Juli in unserem Bereich ruhig, Die Sturmaktivitäten nehmen ab Mitte Juli aber stark zu und ab dann muss man mit den gefürchteten Wirbelstürmen rechnen. Es ist klar, wir müssen weg hier. Aber wohin?? Wir haben im letzten Bericht geschrieben, dass wir am liebsten wieder auf die ABC Inseln gehen würden, falls bis dann die Grenzen offen sind. Das ist nun tatsächlich geschehen. Mit einer 14-tägigen Quarantäne können alle drei Inseln (Aruba, Bonaire, Curaçao) angesegelt werden. Wir haben uns für Bonaire entschieden und uns dort in die Liste von Einreisewilligen eingeschrieben. Zwei Schiffe pro Woche werden in die Quarantäne aufgenommen. Als wir das lesen, sinkt bei uns die Zuversicht, denn es wollen doch viel mehr Schiffe dorthin. Aber wir haben Glück: diese Woche haben wir nun endlich die Bestätigung erhalten, dass wir kommen können. Einzig der Termin bleibt noch offen. Von der Marina in Bonaire wurde uns mitgeteilt, dass die Behörden die Quarantäne plane und wir von dort einige Tage vorher informiert werden, wann wir in Bonaire eintreffen sollen. Für uns kein Problem – wir haben Zeit. Falls sich doch wider Erwarten ein Sturm ankündigen sollte, werden wir einfach unseren Anker heben und nach Süden flüchten.
Pia wird noch einige Striche mehr machen können 😉

Abendstimmung in Ocho Rios

Es bleibt spannend – bleib der Lupina im Kielwasser!

5 Antworten auf „Jamaika – immer noch im Lockdown“

  1. Sali zäme, ihr seid ja wirklich in einem Wechselbad der Gefühle. Es geht kräftig auf und ab an Bord der Lupina, doch ihr Beiden behaltet in allen Stürmen die Ruhe und die Zuversicht. Das hilft ganz bestimmt, die Unwegsamkeiten zu ertragen. Wir wünschen Euch jetzt noch entspannte Tage mit viel Desinfektion auf Jamaica und dann vor allem einen guten Törn mit guten, angenehmen Segelbedingungen nach Bonaire. Seid herzlich gegtüsst von Bord der Vairea, Martina und Daniel

  2. Hallo iht Beiden
    Mit grossem Interesse habe ich auch diesen Bericht gelesen. Einfach Wow, ihr macht das wirklich grossartig und ergänzt euch perfekt! Tiefenentspannt… macht mich grad etwas neidisch Ich wünsche euch eine ruhige Fahrt nach Bonaire.
    Liebe Grüsse
    Ida

  3. Hey ihr Lieben
    Wieder ein toller, interessanter Bericht mit vielen Erlebnissen.
    Sicher nicht immer einfach, wenn man nicht weiss, wann es weiter geht. Aber ihr seid ja Tiefenentspannt
    Wünsche euch eine gute Weiterfahrt.
    Herzlichst Zita

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