Kuba verstehen?

Die ersten beiden Tage nach der Quarantäne verbringen wir damit, uns zu organisieren. Wir fragen das Nachbarschiff (SY Sissi mit den beiden Deutschen Brüdern Jörg und Jens) nach Tipps und in der Marina bestellen wir ein Mietauto. Bei der Bestellung bleibt es jedoch, denn alle Vermietungsfirmen, die sie anrufen, haben nichts oder beantworten das Telefon schon gar nicht. Später werden wir erfahren, dass es tatsächlich unmöglich ist, bei einer Car Rental Firma ein Auto zu reservieren. Jetzt zum Jahreswechsel sind viele Ex-Kubaner auf Heimaturlaub, und viele Autos sind zurzeit vermietet. Wir stehen vor der Entscheidung, gleich weiter in Richtung Cienfuegos, das rund 320 Seemeilen westlich von Santiago de Cuba liegt, zu fahren oder auf eigene Faust etwas zu organisieren. Wir entscheiden uns für das Bleiben und suchen alternative Lösungen.

Lupina in der ruhig gelegenen Marina Marlin von Santiago de Cuba
Schon nach einigen Tagen stellen wir gelbliche Flecken auf der weissen Farbe (Gel Coating) unseres Schiffes fest. Hier der Verursacher! Eine nahegelegene Erdölraffinerie stösst schwefelhaltigen Russ aus seinen Kaminen. Das sich über Nacht absetzende Tauwasser löst diesen Russ auf und hinterlässt dann nach dem Abtrocknen die hässlichen gelben Flecken. Diese lassen sich angeblich nur mit einem speziellen Reinigungsmittel (Oxalsäure) entfernen
In den ersten Tagen fahren wir jeweils um die Mittagszeit mit der Fähre in rund 30 Minuten ins Zentrum von Santiago de Cuba. Im Bild: Haltestelle der Fähre direkt neben der Marina
Fähre nach Santiago
Abends um 18 Uhr fährt die letzte Fähre von Santiago zurück. Schöne Abendstimmung am Pier (hinten raucht unser Flecken-Macher!)
Transportmittel in Santiago: wunderschöne, meist sehr gut gepflegte Amischlitten, Rikschas …
Pferdekutschen (ja, die sehen wir hier viel häufiger als Auto-Taxis)
… und die Kubanische Version vom Postauto (Omnibus). Neuere Fahrzeuge sieht man praktisch keine
Unser Ausgangspunkt der Stadtbesuche: der Céspedes Platz mit der Kathedrale …
… und dem Rathaus von Santiago
Céspedes Platz by night mit der Kathedrale (rechts), dem Hotel «Casa Grande» (Mitte) und dem Museum «Emilio Bacardi» (links)
Wir treffen in Santiago auf wunderschön restaurierte Kolonialbauten (hier das Hotel Imperial, nahe beim Céspedes Platz)
Und sehen auch, wie die Fassaden renoviert werden. Ein einfachstes Holzgerüst muss es richten. Wir werden in den nächsten Tagen noch oft erleben, wie die Improvisations-Energie der Kubaner fast jedes Problem zu lösen vermag
Immer interessant: die Menschen! Wir erleben sehr freundliche, gut gebildete und interessierte Menschen, die das Leben unter freiem Himmel geniessen. Leider sind die Covid Fallzahlen nach den Festtagen wieder deutlich am Steigen (nachdem sie vorher sehr tief waren), und so erleben wir nicht die ausgelassene Fröhlichkeit und die spontanen Strassenkonzerte, wie sie sonst üblich sind – schade!
Strassenszene in Santiago
Die gut situierten Kubaner tragen gerne ausgefallene Kleider, Schmuck und gut polierte Lederschuhe …
… während die weniger bemittelten Leute sich mit einem sehr einfachen Lebensstil begnügen müssen. Nicht selten findet man gleich neben schön herausgeputzten Kolonialbauten auch einfache Holzbauten, die oft nur einen einzigen Raum haben
Sehr oft anzutreffen: spielende Leute auf den Plätzen und in den Strassen
Es gibt sogar spezielle Hallen zum Schachspielen
Das Personal der Marina Marlin ist sehr freundlich und hilfsbereit. Wir übertreiben nicht, wenn wir schreiben, es ist die freundlichste Marina, in der wir je festgemacht haben. Norbert (im Bild mit Köbi) kam in der Neujahrsnacht 5 Minuten nach Mitternacht zu unserem Schiff und wünschte uns persönlich ein gutes Neues Jahr. Er spricht fliessend Englisch und Russisch und interessiert sich sehr für die Länder, aus denen wir Segler kommen. Überhaupt fällt uns auf, dass die Kubaner eine sehr gute Allgemeinbildung haben, im Gegensatz zu den bisher besuchten Ländern
Wir lieben den Kontakt zur lokalen Bevölkerung. Deshalb entscheiden wir uns auch, bei der Rundreise durch den Ostteil von Kuba jeweils privat zu übernachten. Was andernorts Bed & Breakfast heisst, nennt sich hier «Casa Particular» und ist mit diesem blauen Zeichen markiert. Es gibt das Gleiche in roter Farbe, aber diese Häuser dürfen nur von Kubanern besucht werden. Der Unterschied ist die Steuerabgabe an den Staat, welche die Vermieter machen müssen, und somit wohl auch der Mietpreis. Die Preise liegen für uns im Bereich von 15-30 Dollar pro Zimmer und Nacht
Unsere Casa Particular Gastgeber in Guardalavaca (an der Nordostküste von Kuba). Die Frau arbeitete vor ihrer Pensionierung als Köchin in einem nahegelegenen All-Inclusive Hotel, der Ehemann war Professor an einer Universität. Er ist jetzt zuständig für die Hausreinigung und den Kaffee für die Gäste! Apropos, Sauberkeit: die Casas Particulares, die wir auf unserer Rundreise benützen sind immer sauber und sehr gepflegt. Überhaupt sind die Kubaner ein sehr gepflegtes Volk. Sauberkeit wird hier grossgeschrieben.

Zu unserem Erstaunen gibt es im Casa Particular in Guardalavaca nur Kaffee zum Frühstück. Die Frau entschuldigt sich unzählige Male und erklärt, dass es ihr nicht möglich war, über Nacht etwas Essbares für uns aufzutreiben. In den nächsten Tagen werden wir erfahren, wie schwierig und frustrierend es für die Kubanische Bevölkerung im Moment ist, an Lebensmittel zu gelangen. Frisches Brot bekommt man in den Panaderias (Bäckerei). Davor stehen schon lange vor der Öffnungszeit lange Menschenschlangen. Mit viel Glück hat es noch etwas auf dem Verkaufstisch, wenn man dann endlich vorne steht. Bei Lebensmittelläden stehen ebenfalls grosse Menschenmengen an und drücken sich die Nase an den Fenstern platt. Warum? Sie versuchen, zu erkennen, was heute auf den Regalen steht, und ob sich das Anstehen lohnt. Frisches Obst oder Gemüse?? Um das zu kaufen braucht es sehr viel lokales Wissen und Tipps von Hausfrauen, die wissen, wo es so etwas allenfalls zu erhaschen gibt. Eine Kombination von Boykotten der USA, wegen Covid stillgelegten Fabriken und vom Staat zum Export (der Staat braucht Devisen) reservierten Früchten und Gemüsen hat dazu geführt, dass das tägliche Leben in Kuba aktuell sehr schwierig ist. Wir entscheiden, die Lebensmittel an Bord zu verwenden, und das, was kaufbar ist, den Kubanern zu überlassen.

Überall müssen die Leute oft mehrere Stunden anstehen, wie hier bei einer Bank und links im Bild vor einer Bäckerei
Grosser, modern eingerichtete Lebensmittelladen in Baracoa (Nordosten von Kuba). Es gibt rund etwa 10 verschiedene Artikel zu kaufen. Hier das Angebot an Erbsen. Mehr gibt es nicht!
Blick in eine Apotheke. Die Regale sind erschrecken leer. Die Einfuhr von Medikamenten leidet sehr stark unter dem Boykott der USA. Kuba hat super gut ausgebildete Mediziner (die medizinische Universität in Havanna ist weltberühmt!), aber sie kommen nicht an die Medikamente
Auch das Angebot in Restaurants und Bars ist oft sehr stark limitiert. Eine Bar hat fast immer Rum, aber die Zutaten für eine Drink Mischung fehlen meistens. Mit viel Glück gibt es Bier
Aber es gibt sie auch, die kleinen Juwelen. In einem Wohnquartier in Guardalavaca finden wir das kleine, schnucklige Restaurant «La Isabella», direkt am Baseball-Trainingsplatz der Dorfjugend. Es zeigt uns deutlich: mit etwas Unternehmergeist ist auch in diesen schwierigen Zeiten vieles möglich in Kuba
Per 1. Januar gab es in Kuba eine Währungsreform. Bis dahin gab es zwei Währungen in Kuba: für die Touristen galt der CUC, der 1:1 zum US-Dollar gehandelt wurde. Für die Einheimischen galt der CUP, der Kubanische Peso. Ab jetzt gibt es nur noch den CUP. Natürlich ist fast überall der CUC noch angeschrieben, so dass man immer zuerst in CUP umrechnen muss (Multiplikation mit 25). Für uns ist das weniger ein Problem, wir kennen ja nur den CUP. Aber für die Verkäuferinnen und Verkäufer jedes Mal wieder eine Herausforderung. Für uns wird es dann schwierig, wenn die Leute lieber Euro oder Dollar hätten, und wir dann richtig umrechnen müssen 😊

Hier noch ein kleiner Einschub bezüglich Geldes. Wir haben uns vor der Reise nach Kuba mit etwas Euro und Dollar eingedeckt, so dass wir die ersten Ausgaben damit machen können. Daneben haben wir Kreditkarten (AMEX, Visa und Master) sowie Maestro Bankkarten. Schon vor der Reise konnten wir nachlesen, dass AMEX und Maestro Karten nicht akzeptiert werden. Kein Problem, dachten wir, wir haben ja noch zwei andere. Die ersten Versuche, mit Visa oder Masters auf den Kubanischen Bankomaten Geld abzuheben, scheitern jedoch. Zwei Tage später erhält Köbi ein SMS von der Kreditkartenfirma, er solle doch bitte zurückrufen. Das Telefon aus Kuba (Swisscom) kostet uns 30 CHF und ergibt, dass Kreditkarten, die über die Crédit-Suisse (wie unsere) oder andere grössere Schweizer Banken laufen, von Kuba gesperrt sind. Es habe etwas mit den Vereinbarungen der Schweizer Banken mit der USA zu tun, wurde uns mitgeteilt. Da stehen wir nun, mit nur wenig Bargeld an Bord, und wollen Kuba bereisen. Zum Glück gibt es die fantastische Seglergemeinschaft! Die Besatzung unseres Nachbarschiffes (SY Sissi) ist ohne grosse Diskussion bereit, uns mit 1000 Dollar Bargeld aus der Patsche zu helfen, die wir dann wieder per Bankübertragung zurückzahlen.

Zurück zu unserem Problem: Mietauto! Diesen hätten wir sehr gerne gefahren …
… schlussendlich wird es aber ein Fiat Tipo, Baujahr 1990. Bei den Anzeigegeräten hat nur die Temperatur funktioniert, sonst nichts. Im Kofferraum fehlen die Gummidichtung, und so lernen wir auf staubigen Strassen bald, dass der Staub seinen Weg ungehindert und frei seinen Weg ins Wageninnere findet. Den starken Dieselmotor hören wir neben dem lauten Geklapper von Radaufhängungen und Kofferraumdeckel praktisch nicht. Aber: wir haben einen fahrbaren Untersatz, und das zählt!!

Wie sind wir zum Mietauto gekommen? Wir sind persönlich selber zu mehreren Mietfirmen gegangen. Überall Absagen. Wir fragen einen Mitarbeiter der letzten Mietfirma, ob er uns sein eigenes Auto vermieten würde. Geht nicht, das ist kaputt. Aber hat einen Freund und der hat über einen anderen Freund und noch einen Freund unser Mietauto vermittelt. Der Preis? Eine Sünde!! 50 Dollar pro Tag für diesen, mit Verlaub gesagt, Blechhaufen, ist definitiv zu viel. Aber wir wollen unsere Rundreise machen, und so willigen wir halt ein.

Bei der Entgegennahme des Mietautos merken wir, dass das Ersatzrad keine Luft hat. Köbi verlangt, dass es vorher geflickt wird. Kein Problem. Der Autovermieter fährt mit uns gleich zur «Gomeria» (Pneu Reparatur Werkstätte), wo es auch umgehend fachmännisch geflickt wird
Auf der Fahrt in den Norden (Baracoa) sehen wir uns um 50 bis 100 Jahre zurückversetzt. Pferde sind Transportmittel Nummer eins, und für schwere Zuglasten sieht man noch überall Ochsengespanne
Auf der Strasse gibt es immer wieder Identitäts- und Covid Kontrollen. Pässe werden kontrolliert und in eine Liste eingetragen, an manchen Stellen wie hier werden sogar die Räder des Autos desinfiziert (weisser Spraybehälter hinter dem sitzenden Beamten)
Fidel Castro ist noch omnipräsent und die Leute verehren ihn überall. In dieser Kirche in Banes heiratete er 1948 standesgemäss die Tochter des damaligen Bürgermeisters. Der ebenfalls aus Banes stammende Diktator Batista gratulierte dem Paar damals mit einem Geschenk. Im 1955, nach Castros Wandlung zum schärfsten Kritiker Batistas, wurde die Ehe wieder geschieden
Unsere Rundreise lässt uns viel erfahren über die Geschichte Kubas in den 50er Jahren, als der Diktator Batista, USA-gesteuerter Marionettenpräsident, von Fidel Castro durch eine Revolution gestürzt wurde. Mit dem Schiff «Granma» ist Fidel Castro mit insgesamt 82 bewaffneten Kämpfern der kubanischen «Bewegung des 26. Juli» (darunter der berühmte «Che» Guevara) still und heimlich aus seinem Exil in Mexico nach Kuba zurückgekommen und hat sich im sehr gebirgigen Osten eine Militärbasis errichtet. Mit der Landung der Granma begann die kubanische Revolution
Die Kubaner sind sehr pflichtbewusst und, ausser beim Anstehen, sehr diszipliniert. Es ist daher kein Wunder, dass die Maskentragpflicht sehr konsequent befolgt wird. Etwas anderes ist auf diesem und den vielen anderen Bildern auch sehr offensichtlich: es gibt kein saubereres Land als Kuba! Nicht der kleinste Abfall am Strassenrand!
Auch die Kleinsten tragen willig ihre Masken
Fahrt auf der wunderschönen «Carretera Granma». Die Strasse ist über die ersten 90 Kilometer in Richtung Santiago in einem schlechten Zustand und über lange Distanzen nicht geteert, aber man wird mit einer fantastischen Aussicht belohnt. Kurz nach diesem Bild ist übrigens das Kupplungsseil gerissen. Köbi kann aber die Fahrt bis zur nächsten grösseren Ortschaft rund 70 Kilometer weit fortsetzen und dort mit Draht das Problem provisorisch beheben lassen
Köbi beim Nachtanken. Da die Tankuhr nicht funktioniert, sind wir froh um unseren eigenen Dieselkanister
Zurück in Santiago besuchen wir einige Ausflugsziele in der näheren Umgebung. Die Festung «El Morro» an der Einfahrt zur Bucht nach Santiago
Die Wallfahrts-Kirche «Basilika del Cobre»
Basilika del Cobre. Kaum drinnen hat uns diese Kirche ganz in den Bann gezogen. Überwältigt und stark beeindruckt von den Farben, Licht und der leisen im Hintergrund spielender Musik. Wir sind fasziniert wie noch nie von einer Kirche
Unser letzter Ausflug führt uns auf den mit 1’226 Metern über Meer gelegenen «Pico Gran Piedra». Eigentlich wollten wir auf den höchsten Berg von Kuba, den 1’974 Meter hohen «Pico Torquino», aber als wir am Ausgangspunkt der Wanderung erfuhren, dass der Wanderweg wegen Unterhaltsarbeiten geschlossen ist, mussten wir umdisponieren
Die letzten Höhenmeter auf den «Pico Gran Piedra» werden spektakulär über eine steile Treppe erklommen. Leider ist uns die Rundumsicht ganz oben durch dichten Nebel versperrt
Und es gibt sie doch, die Früchteverkäufer! Ganz unerwartet auf der Rückfahrt vom «Pico Gran Piedra» fahren wir an einem kleinen Bergbauernhaus vorbei. Und er macht das, was wir eigentlich überall in Kuba erwarten würden: er verkauft die Früchte, die ihm die freie Natur schenkt

Heute Montag, 11. Januar 2020, ist unser letzter Tag in der Marina Marlin von Santiago de Cuba. Morgen früh holen wir uns die Segelbewilligung für die Weiterfahrt nach Cienfuegos. Wir werden auf der 320 Semmeilen langen Strecke immer wieder mal einen Ankerstopp einlegen und rechnen mit rund 8 bis 10 Tagen, bis wir am Ziel eintreffen. Da wir in der Zwischenzeit keine Internet Verbindung haben werden, melden wir uns für die nächsten Tage hier mal ab.

Falls unsere Position per GPS-Signal nicht übertragen wird, dann sind nicht genügend Satelliten über uns freigeschaltet für Kuba (die USA lässt grüssen ☹). Aber wir werden euch dann von Cienfuegos aus berichten, was gelaufen ist

Es bleibt spannend! Bleib der Lupina im Kielwasser!

4 Antworten auf „Kuba verstehen?“

  1. Liebe Pia, lieben Köbi,
    vielen Dank für Eure wie immer spannenden und tollen Reiseberichte, die uns regelmäßig Fernweh bereiten. Glückwunsch Köbi zu Deinem gefangenen Fisch
    Herzliche Grüße
    Martina&Chris

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