Harter Am-Wind Kurs auf ein Riff – Glück im Unglück

Im letzten Bericht habe ich versprochen, noch etwas vertiefter zum Auflaufen auf ein Riff mitten im Meer einzugehen.

Der Vorfall ereignete sich am 12.9.2023 auf unserer Fahrt von Vanua Balavu in den nördlichen Lau Inseln von Fiji Richtung Süden nach Vulaga.
Wir fuhren einen harten Am-Wind Kurs, mussten aber einmal aufkreuzen vor der Insel Lakeba, um die Durchfahrt zwischen den Insel Lakeba und dem Riff im Osten schaffen zu können. Im Bereich des roten Kreises ist eine Unregelmässigkeit vermerkt mit Steinen/Korallen, gemäss Karte aber mindestens 46 Meter tief. Gleich weiter südlich (am unteren Rand des roten Kreises) wieder ein Riff, das blau (weniger als 20 Meter Tiefe) und grün (kommt teilweise aus dem Wasser) eingetragen ist.

Es ist dunkle Nacht kurz nach 21 Uhr. Wir haben beide Segel stark gerefft und kämpfen uns bei 20 Knoten südöstlichem Wind gegen Süden. Wir wollen so gut wie möglich die östliche Höhe halten, damit wir auch die nächste Insel, Alwa Island, sicher umrunden können. Wir machen zwischen 4.5 bis 6 Knoten Fahrt und es scheint zu klappen. Eigentlich wollen wir die mit mindestens 46 Meter Tiefe eingezeichnete Untiefe östlich umfahren. Der Wind dreht aber wieder und wir entscheiden uns, westlich daran, also auf der Leeseite, vorbei zu segeln.

Unsere Fahrt durch die Untiefe (gelb). Der Ort der Grundberührung ist mit dem Pfeil markiert. Deutlich zu erkennen: die Tiefenangaben stimmen bei Weitem nicht.

Pia und ich sind beide im Cockpit und versuchen, in der Nacht etwas zu erkennen. Nelly liegt schlafend im Lee-Bett in der Mitte des Schiffes. Ich bin am Steuer und beobachten regelmässig den Tiefenmesser. Die Tiefe ist zu gross, der Tiefenmesser zeigt «out of range an». Plötzlich springt die Zahl kurz auf 10 Meter, und steigt dann scheinbar wieder an. Sofort drehe ich ab, aber leider zu wenig resolut. Denn ich bin immer noch am überlegen, was diese Sprünge des Messgerätes bedeuten sollen, als ein Ruck durch das ganze Boot fährt, begleitet von einem hässlichen Knirschen, Kratzen und rumpeln. Ächzend und mit leichtem Beben kommt das Schiff zum Stehen. Wir sind auf Grund gelaufen!! Die schlimmsten Gedanken schiessen durch den Kopf. Pia ist kreidebleich – ich wohl auch. Ich starte sofort den Motor, Pia schnappt die Schwimmwesten. Ich lege den Rückwärtsgang ein, drehe kurz etwas hoch. Es ächzt und knirscht wieder unter dem Bauch der Lupina. Die Geräusche schmerzen mir im Herz. Langsam dreht sich das Schiff quer zum Wind. Weil die Segel immer noch gesetzt sind und wir nun quer zum Wind zu stehen kommen, beginnt sich das Schiff zu neigen. Das ist unser Glück, denn dadurch wird der Kiel etwas angehoben und das Schiff löst sich aus dem Riff. Es beginnt ein gefühlt unendlich langsames Schleifen und Kratzen des Kieles über den Untergrund. Ich rufe Pia zu, mir die Lampe zu holen, damit ich vielleicht im Wasser sehen kann, wie das Riff verläuft. In diesem Moment richtet sich die Lupina auf und das hässliche Kratzgeräusch hört auf. Sind wir frei? Nein! Nochmals ein heftiges Kratzen und ein Schlag, der mir das Steuer aus den Händen reisst – dann sind wir frei. Ich verfolge unsere Position auf dem Bildschirm, lege den Vorwärtsgang ein und gebe leichten Schub vorwärts. Das Steuer kann ich bewegen und das Boot reagiert! Was für eine Erleichterung! Das Ruder und die Steuerung scheinen noch zu funktionieren. Ich steure das Schiff senkrecht zur vorherigen Fahrtrichtung und hoffe, dass es uns in tieferes Wasser bringt. Der Tiefenmesser zeigt 3 Meter an, immer noch Gefahrenbereich. Nach und nach nimmt die Tiefe zu, und fällt dann plötzlich über 100m ab. Gleichzeitig meldet Pia, unten im Schiff sei noch alles normal. Bei mir kommt erste Erleichterung auf.

In der Zwischenzeit ist Nelly, total erschreckt von den brutalen Geräuschen, aus ihrer Koje gehüpft, und hat wie Pia automatisch die Schwimmweste angezogen. Beide stehen mit bleichen Gesichtern im Niedergang und erwarten das Schlimmste. Aber wir haben Glück im Unglück. Die Lupina schwimmt wieder aufrecht und geräuschfrei. Die Steuerung funktioniert. Bevor ich aber Entwarnung geben kann, müssen wir kontrollieren, ob wir nirgends Wassereinbruch haben. Pia übernimmt von mir das Steuer, und ich öffne alle Bodenbretter und suche systematisch von vorne nach hinten alle Kammern ab. Ein riesiger Stein fällt mir von den Schultern: alles dicht, nirgends eine Spur von Wassereinbruch.

Da es dunkle Nacht ist, beschliessen wir, die Fahrt wie geplant fortzusetzen, und den entstandenen Schaden dann vor Anker an unserem Zielort auf der Insel Vulaga weiter zu untersuchen. Obwohl der Rest der Fahrt ruhig und ohne weitere Ereignisse verläuft, macht niemand von uns in dieser Nacht ein Auge zu.

Ein Tauchgang bei Tageslicht zeigt das Ausmass des Schadens: deutliche Einkerbungen vom Aufprall gegen das Riff vorne am Blei-Kiel
Kratzspuren unten am Kiel vom seitlichen Schleifen über das Riff
Leichte Beschädigung am Ruder unten. Vor allem die hintere Kante ist angekratzt
Bei der vorderen Kante des Ruders ist die Farbe zwar weg, aber die Struktur ist weitestgehend unbeschädigt
Die schlagartige Drehkraft, die beim Aufsetzen des Ruders auf dem Riff entstanden ist, hat ein starkes Moment auf das Übersetzungsgetriebe der Lenkung ausgeübt. Dadurch ist eine von insgesamt 3 Fundamentlaschen gebrochen …
… und bei einer zweiten Lasche ist die Schraube ausgerissen.
Vor Anker in Vulaga gelingt es mir, das Umlenkgetriebe mit einem Bügel behelfsmässig wieder zu fixieren. Definitiv können wir das dann erst in einem guten Yard reparieren.

Nun, wo ich die Ereignisse dieser Unglücksnacht zu Papier bringe, und wir unsere unterschiedlichen Wahrnehmungen mehrmals untereinander ausgetauscht haben, ist der grösste Schock vorbei. Unmittelbar am Tag nach dem Unglück habe ich die Behörden über die nicht richtig dargestellte Gefahrenstelle informiert. Ebenso habe ich den Lieferanten meiner Karten von unserem Erlebnis berichtet und verlangt, dass diese Stell auf den Charts korrigiert wird. Mit den relativ geringen Schäden an Ruder, Kiel und Steuerung sind wir sehr glimpflich davongekommen. Es hätte viel schlimmer ausgehen können. Es ist noch nicht lange her, da haben Freunde von uns ihr Schiff an einem Riff verloren.

Wir haben unheimlich Glück gehabt.

Und was lernen wir daraus?
– Reisevorbereitung: Google Maps / Bing Maps (Satellitenbilder) wenn immer möglich lokal speichern, so dass sie offline verwendbar sind. Mit Apps wie openCPN oder Alpine Quest können kritische Gebiete unterwegs aus der Vogelperspektive auf Gefahrenstellen untersucht werden.
– In der Nacht oder bei schlechter Sicht konsequent „komische“ Gebiete weiträumig umfahren – auch wenn es Aufkreuzen und mehrere Stunden Umweg bedarf.
– Dass wir uns nicht auf Seekarten (oder in unserem Falle Navionics Charts) verlassen dürfen, das wissen wir. In der Nacht schwierig! Also: schwierige Gebiete wenn möglich nur bei Tag befahren.
Falls jemand noch weitere hilfreiche Tipps/Anregungen hat, dann warten wir gespannt darauf.

Es bleibt spannend – folge der Lupina im Kielwasser!

7 Antworten auf „Harter Am-Wind Kurs auf ein Riff – Glück im Unglück“

  1. Hola, Ihr Seefahrer!
    Wir sind selbst aufgewühlt über das Gelesene. Kaum vorstellbar, wie es Euch in jener (beinahe) fatalen Nacht ergangen sein muss!
    Ich halt mich noch immer an die angeblich deutsche Seefahrer Weisheit „Riffe von Weitem, Kirchen von Aussen, Kneipen von Innen!“

  2. Hallöchen ihr Lieben, Menschenskinder , das ihr das gemeistert habt und ihr habt wirklich viel Glück gehabt. Gott sei Dank. Wir haben mit gefiebert. LG

  3. Aufschlussreicher Bericht, gut verfasst!
    Danke, dass ihr uns auch an den schwierigen Erlebnissen teilhaben lässt. Natürlich sind wir froh, dass es nur ein “Streifschuss” war…
    Herz,ich, j&j

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