São Nicolau, die unscheinbare Insel – oder: Afrika mit einem Stiel dran

Nach einer reichhaltigen, warmen Mahlzeit heben wir den Anker am Freitag Abend um 18:00 Uhr vor Sonnenuntergang zur Weiterfahrt nach Sâo Nicolau. Wir möchten die Segel noch vor Dunkelheit setzen, um dann gemütlich die Nachtfahrt zu geniessen. Leider bringt uns der Wind für einmal nicht das, was angesagt war. So müssen wir die ersten vier Stunden unser eisernes Segel (= Motor) benutzen. Köbi gönnt sich während der ersten Nachtstunden seinen erholsamen Schlaf. Wie immer übernimmt er dann ab Mitternacht die Wache und Pia legt sich schlafen. Der Wind kommt auf und die Segel können endlich gesetzt werden. Obwohl geplant ist, dass wir jeweils nach sechs Stunden die Schicht wechseln, lässt Köbi Pia ein weiteres Mal bis acht Uhr schlafen. Sie ist dankbar und schätzt es, dass er ein ausgesprochener Nachtmensch ist 😊. Die Segel können wir bis zum Kurswechsel bei der Insel in gleicher Stellung belassen. Kurz nach Tagesanbruch erreichen wir das Südkap von São Nicolau und drehen von da nordwärts zu unserem Ziel Tarrafal.

Tarrafal, mit weit offener Ankerbucht

Das Ankermanöver in Tarrafal wird uns in Erinnerung bleiben. Als unser Anker auch beim zweiten Versuch nicht richtig halten will, nähert sich uns ein Französischer Segler mit seinem Dinghi; wir sollen weiter draussen in rund 10 Meter Tiefe ankern, weil der Grund dort besser sei. Auch warnt er uns vor heftigen Fallböen (bis 45 Knoten hat er gemessen). Dankbar für diesen Tipp machen wir uns daran, weiter raus zu fahren, als es uns plötzlich das Heck herum wirft und es zu quietschen beginnt. Ein Seil in der Schraube! Geistesgegenwärtig reisst Köbi den Ganghebel auf neutral, und verhindert so einen möglichen Schaden an der Welle. Anker runter, kurze Beratung, dann steht Köbi mit Schnorchel, Flossen und scharfem Messer bewaffnet am Heck und springt ins Wasser. 5 Minuten später ist er wieder an Bord. Eine Bojenleine, an der keine Boje mehr war, hatte sich um den Propeller gewickelt, konnte aber wieder abgedreht werden. Nun hängt eine leere Plastikflasche von uns dran und warnt so andere Schiffe vor der versteckten Gefahr. Kurz mit Frischwasser abgeduscht, dann wird weiter draussen zum dritten Mal Anker gesetzt. Diesmal hält er. Da in den nächsten Tagen der Wind zunimmt (und die Warnung des Französischen Seglers wegen den Fallböen im Hinterkopf) setzen wir einen 2. Anker und stecken jeweils 50 Meter Kette. Das hält 😊 und lässt uns gut schlafen.

Die Insel São Nicolau ist nicht sehr gross (346km2,, 13’000 Einwohner) und touristisch praktisch noch unbekannt. Hotels gibt es keine. Im Fischerhafen Tarrafal (3’700 Einwohner) und in der Hauptstadt Ribeira Brava (2’000 Einwohner) findet man in kleinen Pensionen einige wenige Gästezimmer. Dabei wäre São Nicolau mit seiner imposanten Bergwelt interessant für Wander- und Entdeckungsreisende und hat im Südwesten kilometerlange Strände. Diese Kombination gibt es auf keiner Insel. Im Süden dominiert trockenes, verbranntes Land das Bild. Die Wolken bleiben auf der Nordseite des Monte Gordo (mit 1’312m der höchste Berg) und an der umliegenden Bergkette hängen; deren nördliche Ausläufer sind grün und fruchtbar und hier gibt es auch reichlich Wasser. Auf São Nicolau findet noch Selbstversorgung und Tauschhandel statt. Am Strassenrand bieten die Bauern frisches Gemüse an. Alles ungekühlt und somit für uns länger haltbar auf dem Schiff. Für unseren Eindruck leben diese Bewohner noch bescheidener als auf den anderen Inseln, aber sie sind ebenso fröhlich und freundlich. Beim Vorbeigehen lächeln sie, man begrüsst sich mit einem «Bom diã» oder hebt den Daumen zum Gruss.

Jeden Morgen am Hafen in Tarrafal: die Leute strömen in Scharen zur Mole und holen sich zum Eigenverbrauch oder zum Weiterverkauf Fische direkt vom Fischerboot ab. Frischer geht nicht!
São Nicolau: die Insel sieht aus, wie Afrika (Kontur des linker Teils) mit einem Stiel dran. Es hat zwei grössere Ortschaften und ein gutes Dutzend kleine Dörfer und Weiler

Natürlich wollen wir auch hier etwas von dieser Insel sehen. Mit dem Dinghi fahren wir an Land. Es kommen sofort Jungs angerannt, wollen uns helfen, das Boot an Land zu ziehen und vor allem gibt es ein Gerangel, wer während unserer Abwesenheit auf das Boot aufpassen darf und somit auch einen Batzen verdienen kann. Köbi zeigt mit dem Finger auf den Hilfsbereitesten aus der Schar, und mit dem Daumen nach oben signalisieren beide, dass es gilt.

Es ist Sonntag, fast keine Leute im Dorf zu sehen, weder Läden noch Restaurants offen. Wo ist die Bushaltestelle, wo ist ein Tourist-Office? Die Alltagssprache hier ist Kreol, bestehend aus 10% afrikanischen -und 90% portugiesischen Wörtern. Die offizielle Sprache auf den Kapverden ist aber Portugiesisch. Zum Glück kann Köbi sich in dieser Sprache einigermassen verständigen und wir erfahren, dass wir morgen Montag wieder kommen sollen.

Bei unserem ersten Landgang angetroffen: glänzende Motorräder, etwas äusserst Seltenes hier. Dank ihnen haben wir die einzige offene Bar gefunden

Mehr oder weniger unverrichteter Dinge begeben wir uns wieder zum Dinghi, geben dem Junge eine Cap (Mütze) und 50 Escudos (0.5 Fr.), fahren zurück zur Lupina und gönnen uns einen entspannten Sonntag Nachmittag. Am Montag ist dann viel mehr Betrieb im Dorf. Kleinbusse oder Pick-ups mit Bänken auf der Ladefläche und der Aufschrift «Aluguer» hupen beim Vorbeifahren, halten an und wir steigen ein. Das ist hier der öffentliche Verkehr. Losgefahren wird erst, wenn der Bus genügend besetzt ist; das kann bis zu einer Stunde dauern. Diese «Aluguer» fahren dann quer durch die Insel. Zum Mitfahren stellt man sich an den Strassenrand und hebt die Hand. Zum Aussteigen wird gepfiffen, gerufen oder an die Scheibe geklopft. Der Fahrer hält dann sofort an. Bezahlt wird nach dem Aussteigen. Kurze Strecken ca, 50 Escudos, lange Strecken 100-200 (1-2 Fr.).

Ein teilbesetztes «Aluguer» (= typisches Sammetaxi auf den Kapverden). Oft werden noch mehr Leute oder Gepäck drauf gepackt

Wir möchten wie immer die Insel quer und längs, rauf und runter erkunden, aber mit dem ÖV hier wird das schwierig. Autovermietung gibt es keine. Doch wir werden trotzdem fündig, ein geschäftstüchtiger Einheimischer vermietet sein privates Auto an uns. Er hat sogar eine Visitenkarte mit der Aufschrift «Car-Rental». Köbi hätte für diese Insel auch gerne einen 4×4 Wagen gehabt, muss nun aber mit konventionellem Antrieb Vorlieb nehmen. Pia ist glücklich, endlich kein Offroad (= Gerumpel ☹) Fahren mehr. Aber sie hat die Rechnung ohne Köbi gemacht. Er hat eine Strasse gefunden, die knapp mit einem normalen Auto befahrbar ist, aber mit Kopfsteinpflaster besetzt (rumpelt ebenso stark wie Schotterpiste) und so steil ist, dass diese ohne Allradfahrzeug nur abwärts befahren werden kann. Zudem sind die Kurven so eng, dass wir fast in jeder Kurve zurücksetzen müssen. Köbi hat’s gefreut, Pia weniger; aber sie vertraut ja Köbi’s Fahrkunst 100% und übersteht dann solche Eskapaden (auch wenn mal der Kotflügel weit über den Abgrund ragt)!! Wie schon auf den anderen Inseln haben wir auch hier Autostöppler mitgenommen. Funktioniert gleich wie bei den «Aluguer»: am Strassenrand stehen, mit Handzeichen Auto anhalten, einsteigen und dort, wo man aussteigen will, sich bemerkbar machen.

Eine spektakuläre Strecke: Durchschnittsgefälle 20%, rund 500 Höhenmeter
Viel der rund 30 Haarnadelkurven erfordern ein Zurücksetzen. Nicht einfach bei diesem starken Gefälle. Auch der Fahrer kommt ins Schwitzen
Zentraler Platz (und gleichzeitig Start- und Zielort der «Aluguer) von Ribeira Brava, der Hauptstadt von São Nicolau (2’000 Ew)
Eine vermeintlich spärliche Auswahl in der lokalen Bäckerei. Die Backwaren wie frisches Brot und dergleichen kommen aber direkt vom Backofen

Die Kapverdier sind eher zurückhaltend, nicht aufdringlich und genügsam. Uns wurde erzählt, dass sie nicht so geschäftstüchtig sind, die Preise halten sie tief, oft werden dadurch nicht mal die eigenen Unkosten gedeckt. Da erstaunt es uns nicht, dass auch hier, wie auf den Kanaren, viele Kleingeschäfte von den Chinesen (ein ausgesprochen geschäftstüchtiges Volk) aufgekauft werden und diese hier die Wirtschaft immer mehr im Griff haben.

Oft haben wir in Langfahrten Blogs gelesen, es gäbe kein Gemüse in den Kapverden. Stimmt nur bedingt! Hier in São Nicolau hat es ein gutes und qualitativ hochstehendes Angebot. Meist direkt vom lokalen Bauern
Eine phantastische Strecke durch den östlichen Teil der Insel. Die Strasse windet sich vom flachen Uferbereich in engen Kurvenüber den Bergkamm auf die andere Küstenseite. Im flachen Bereich Naturstrasse, am Berg mit Pflastersteinen befestigt
Unvorstellbar, die Arbeitsleistung, die hier vollbracht wird: von Hand gehauene Steine werden kilometerweit über die ganze Insel verlegt. Warum nicht geteert wird? Die Antwort ist einfach: «Bitumen haben wir keinen, Steine haben wir genug – und erst noch kostenlos»
Imposante Landschaft. Hier werden die Terrassenfelder tatsächlich noch intensiv bewirtschaftet
Preguiça: wie in den meisten Orten sind auch hier die Fensteröffnungen offen (ohne Glasscheiben). Die Einwohner leben oft sehr spartanisch und sind genügsam
Ein oft gesehenes Bild (hier in Praia Carriçal): Fischer kommen von ihrem Fang retour
Kaum angelegt, wird der Fang direkt verkauft, oder an Land ausgenommen (Mann unten links)
Fische werden ausgenommen
Durchaus ein kapitaler Fang (der Fisch 😊)
Aber dieses Bild zeigt: der Zahn der Zeit nagt auch hier an der Idylle
Gesehen an einem Strand: angespülte Muscheln und Schneckenschalen
Carberinho (Küste im Nordwesten der Insel): bizarr ausgewaschene Gesteinsformationen bieten im Tosen der Brandung einen spektakulären Anblick
Carberinho: durch Wind und Wasser geschaffen – kein Künstler hätte es schöner machen können

Die Wellen in unserem Ankerplatz waren trotz der starken Winde sehr mild. Allerdings hatte der Franzose mit seiner Warnung «starke Fallwinde mit heftigen Böen!» recht. Ein Windstoss war sogar so stark, dass er unser mit einer Leine am Schiff festgemachtes Dinghi samt Motor wie ein Drachen aus dem Wasser in die Luft hob und auf den Kopf stellte. Das Resultat war ein Aussenbordmotor unter Wasser mit Salzwasser im Vergaser und im Öl. Nun, wir haben ja sonst nichts anderes zu tun 😉

Wir erinnern uns an einen Bericht vom Segelschiff Shiva (vielen Dank für den Tipp, Hanspeter) von einer wunderschönen Wanderung zum höchsten Berg der Insel und von da nordwärts über die Berge und dann durch eine tiefe Schlucht hinunter fast bis zum Meer. Sie wird als sehr spektakulär beschrieben. Am letzten Tag unseres Aufenthaltes wollen wir uns auf den selben Trail begeben. Und was wir vorfinden ist wirklich spektakulär!

Ein „Aluguer“ bringt uns zur Ausgangsstation der Wanderung. Von da geht’s zuerst mal über einen gepflästerten Pfad steil aufwärts. Auf dieser Seite der Insel (Nordostseite) hat es immer viel Nebel und Wolken, dafür wächst hier auch sehr viel
Voll beladener Esel kommt aus dem Nebel. Im steilen Gelände immer noch ein sehr geeignetes Transportmittel
Die Pflanzen fangen die Feuchtigkeit aus dem Nebel auf und es bilden sich Tropfen an den Blättern oder Nadeln. Unter den Bäumen und Sträuchern ist der Boden so dauernd feucht
Die Vegetation auf dieser Seite der Berge ist somit recht üppig und vielseitig
Je weiter wir uns dem höchsten Gipfel nähern, umso weniger Nebel hat es
Auf dem höchsten Berg angelangt: Monte Gordo, 1’312m hoch. Anstrengend aber schön!
Vom Monte Gordo geht’s zuerst mal wieder rund 500 Höhenmeter runter …
… bis zu diesem nur noch wenig bewohnten Weiler Ribeira de Calhaus (man beachte kürzlich installierte Wasserversorgung für die Felder)
Von da geht’s wieder kräftig aufwärts zur Wasserscheide …
… von wo sich der Blick in die Schlucht und zum Abstieg nach Fragata und Ribeira da Prata öffnet
Trittsicherheit ist gefragt und Schwindelfrei muss sein. Man beachte die Person, wie klein sie ist, in der gigantischen Natur
Weit unten im Tal das Örtchen Fragata. Nur zu Fuss oder mit dem Esel erreichbar. Fliessend Wasser und Strom gibt es in den Häusern keinen. Dafür soll hier der beste Zuckerrohr-Schnapps der Kapverden gebrannt werden
Wo geht’s hier wohl weiter? Spektakuläre Aussicht
Wohin das Auge auch schweift: wunderschöne Szenen
Nach rund 2 Stunden nahrhaftem Abstieg, mit zitternden Knien und brennenden Oberschenkeln, erreichen wir Ribeira da Plata am Ausgang das Canyons. Auch hier ist das Leben noch sehr einfach. Kein fliessendes Wasser in den Häusern. Gewaschen wird am öffentlichen Waschbecken mit Kernseife, Waschbrett und Zuber
Uns ist besonders auf dieser Insel aufgefallen, dass die Leute Plastiktaschen nicht wegwerfen. Sie bringen sie zum Einkaufen immer wieder mit. Wie wir hier schön sehen können, Plastiktaschen werden auch gereinigt und gepflegt wie die eigenen Kleider
Sonnenuntergang in Tarrafal vor Anker. Zufrieden aber sehr müde hauen wir uns nach diesem intensiven Wandertag in die Kojen

Heute Freitag geht’s weiter nach Mindelo (rund 45 Seemeilen). Dort wollen wir den Alternator unseres Generators reparieren lassen und uns so langsam auf die lange Reise über den Atlantik vorbereiten

2 Antworten auf „São Nicolau, die unscheinbare Insel – oder: Afrika mit einem Stiel dran“

  1. Ein toller Bericht mit wunderschönen Fotos! Es freut mich sehr, dass auch euch San Nicolau so gut gefallen hat. Auf dem Gemüsemarkt in Mindelo findet ihr gewiss ausreichend lagerfähiges Gemüse für euren großen Schlag. Viele Grüße von der ebenfalls wunderschönen Insel Dominica sendet euch Dorothee von der SY Invia.

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