Lockdown in Jamaika

Vor Anker in Ocho Rios, Jamaika

Seit dem 22. März liegen wir nun in Ocho Rios im Norden von Jamaika vor Anker. Unsere Reisepläne sind in der Zwischenzeit komplett über den Haufen geworfen worden. Wir wollten ja ursprünglich Mitte April weiter westwärts zu den Cayman Inseln, und von da ein Monat später nordwärts nach Kuba. Beide Inseln haben anfangs April ihre Grenzen geschlossen und lassen keine Touristen mehr rein. Also Planänderung: wir beschliessen, vorläufig in Jamaika zu bleiben und die Insel im Gegenuhrzeigersinn zu umsegeln, schön gemütlich, mit vielen Zwischenstopps, um möglichst viel von der Insel zu sehen.

Aber auch das kommt anders! Wir haben bereits einen Termin mit den Behörden vereinbart für die Cruising-Erlaubnis bis zur Montego Bay, als am Tag davor, an einem Sonntag früh, zwei Schiffe unter gelber Quarantäneflagge in unsere Bucht einlaufen. Dies löst ein Riesenwirbel bei den Behörden aus, was schliesslich in einem kompletten Cruising Verbot für Jamaika endet.

Ein Katamaran und ein normales Segelboot sind von Guatemala kommend über die Cayman Inseln und Kuba (von beiden Inseln wurden sie durch die Küstenwachen weggeschickt) nach Ocho Rios gekommen und haben am frühen Morgen ihren Anker geworfen. Pia, schon früh auf und erfreut über die willkommene Abwechslung, packt unser SUP und paddelt rüber zu den Schiffen für einen kurzen Willkommensgruss. Nicht gut – die Schiffe stehen unter Quarantäne und die lokalen Behörden schätzen das gar nicht!

Schnell kommt Pia zur Lupina zurück. Die beiden Boote werden der Reihe nach von Küstenwache, Hafenpolizei und der Gesundheitsbehörde besucht. Zwischenzeitlich versucht das eine Boot mit Deutscher Besatzung mit der Deutschen Botschaft in Kingston Kontakt aufzunehmen. Da sie nur Funk und kein hier funktionierendes Telefon haben, rufen sie uns auf. Wir bauen eine Verbindung auf, das heisst: Köbi ruft die Botschaft an, hält das Telefon ans Funkgerät und lässt die beiden Parteien miteinander reden. Eines der Crewmitglieder will sofort von Bord und an Land. Die Deutsche Botschaft erklärt, dass dies in der aktuellen Lage zur Zeit nicht legal möglich ist. Auch gebe es keine Ausreisemöglichkeit, da die Flughäfen geschlossen sind. Zwischenzeitlich hat die Hafenpolizei die fünftägige Aufenthaltsbewilligung (aber unter striktem Verbot, das Land zu betreten), welche die Küstenwache zuerst gewährt hat, auf 24 Stunden reduziert. Das Polizeiboot ist noch bei den Schiffen, als vom Hafenquai ein kleiner Mann wild gestikulierend Richtung Polizeiboot winkt. Es ist der Gesundheitsbeamte. Er ordnet an, dass die Boote per sofort verschwinden müssen. Wir stellen nicht das erste Mal fest, dass bei diesen verschiedenen Behörden weder der eine noch der andere weiss was der andere tut oder erlaubt ☹

Das erste der beiden Boote verlässt Ocho Rios wieder mit Fernziel Guadeloupe. Obwohl die Crew angeführt hatte, dass der Motor nicht läuft, dürfen sie nicht bleiben

Wie es mit den beiden Schiffen weiter gegangen ist: https://nicepaths.com/2020/08/11/the-story-behind-a-picture/

Nachdem auch das zweite Boot unter Polizeibegleitung die Bucht verlassen hat, kommt die Polizei mit dem immer noch sichtlich aufgeregten Gesundheitsbeamten zur Lupina. Barsch brüllt er zu uns rüber und will wissen, was Pia bei den anderen Booten wollte. Zum Glück hatte sie keine Personen berührt und war auf sicherer Distanz geblieben, sonst hätten wir wahrscheinlich auch wegfahren müssen. So lässt er es bei einem mürrischen Verbot für die Weiterfahrt bleiben: «wenn ihr hier den Anker hebt, müsst ihr Jamaika verlassen!» Köbi versucht noch, diesen Entscheid zu hinterfragen, stellt aber gleich fest, dass dies der falsche Moment ist. Nach Köbi’s kurzer Bestätigung, dass es uns hier eh am besten gefällt und wir gerne hier bleiben werden, huscht ein Lächeln über das Beamtengesicht, und die Welt ist wieder in Ordnung 😊

An einem der nächsten Tage erhalten wir ein Mail von einem Unbekannten mit ein paar wunderschönen Aufnahmen von unserer Lupina. Wir sind überrascht und erstaunt, freuen uns über die schönen Bilder.

Ocho Rios by night – die Lupina mitten drin (Bild: Chicco)
Ocho Rios am Tag. Unsere Lupina, alleine neben einem alten Touristen Ausflugsboot (Bild: Chicco)

Ein paar Mails gehen hin und her. Wir erfahren, dass ein älterer Italiener, der mit einer Jamaikanerin verheiratet ist und hier eine Wohnung hat, selber einmal über den Atlantik gesegelt ist. Er hat dies aber 1979 zu einer Zeit gemacht, als es noch kein GPS und Internet gab, und seine seglerische Leistung von damals ist um einiges höher einzuschätzen als unsere. Mit Hilfe des Schiffsnamens fand er unsere Home Page und dort unsere Kontaktdaten. Grazie, Chicco, per le splendide fotografie!

Seit Mitte April gelten Ausgangssperren in der Nacht und Maskentragpflicht in der Öffentlichkeit. Wir fühlen uns sicher und wohl hier. Wir können uns an Land frei bewegen, meiden aber Menschenansammlungen und halten strikt Abstand ein. Die Grenzen bleiben vorerst bis 31. Mai geschlossen
Unser Fahrzeugpark, den wir ohne Einschränkung benutzen können. Die Lupina dürfen wir nicht bewegen ausser zum Leeren der Toilettentanks. Dazu müssen wir aber die Hafenpolizei informieren, die uns dann für zwei bis drei Stunden aufs Meer rausfahren lässt
Hier ist Köbi beim Putzen des Dinghis. Mehrere Wochen im Wasser, und es setzt sich hartnäckiger Bewuchs an. Wir nehmen uns jeden Tag eine kleine Arbeit vor. Nicht zu viel – so dass wir nicht eines Tages arbeitslos sind 😊
Wir haben das Glück, dass direkt ausserhalb der Bucht ein langes Riff der Küste entlang läuft. Dieses Riff hält die grossen Wellen auf und bietet Wohnort für viele Korallen, Pflanzen und Tiere. Fast jeden Tag sind wir einmal dort draussen und geniessen einfach das schwerelose Schweben im 27°C warmen Wasser und die Naturwunder unter uns. Hier ein gefleckter Adlerrochen
Schon bald sind diese Burschen unsere Freunde. Direkt vor uns am Strand hat es ein Delphinarium
Fünf Mal am Tag werden die Delphine gefüttert. Mit unserem SUP fahren wir regemässig hin und können aus der Nähe beobachten, wie verspielt die Tiere sind
Wir stehen in regem Kontakt mit der Heimat, und es interessiert uns sehr, was dort passiert. Corona hat auch ein paar neuere Möglichkeiten bekannter gemacht und wir nutzen ab und zu eine Videokonferenz mit der ganzen Familie. Moderne Kommunikationstechnik macht es möglich
Ja, und dann wollen auch die Grosskinder wissen, wie es uns geht. Da muss der Nachrichten-Sprecher des Jamaika TV live vor die Kamera 😊
Restaurants sind geschlossen (so wie alle Touristenattraktionen, Parks, Museen, Hotels, etc.). Kein Problem! Mit Pia haben wir die beste Köchin an Bord – sie macht ihrem Namen alle Ehre
Nach langem Suchen hat Köbi aber dann doch eine Bar gefunden, wo man das Getränk an der Bar holen, und draussen an zwei Tischen konsumieren kann.
So bleibt die Welt für Köbi in Ordnung 😊

Wir verbringen viel Zeit auf dem Schiff. Oftmals fahren wir mehrere Tage hintereinander nicht an Land, verbringen Stunden mit Lesen oder im Internet (ja, wir haben hier «unlimitiertes» Internet, das zwar nicht ganz unlimitiert ist, aber uns sogar fernsehen lässt). Da gibt es dann schon Momente, wo man nicht mehr weiss, wie man sitzen oder liegen soll. Deshalb haben wir uns ein neues Örtchen des Verweilens eingerichtet:

Neues Genuss-Plätzchen: eine Hängematte im Bug
Vor allem am Morgen oder gegen Abend, wenn die Sonne nicht mehr brennt, ein herrlich luftiges Vergnügen
Damit es keinen Streit gibt, kommt schnell eine zweite Hängematte dazu. Nun können wir die Sonnenuntergänge gemeinsam in luftiger Höhe geniessen

Wie geht es weiter? Das wissen wir noch nicht. Vorläufig bleiben wir in Jamaika. Spätestens wenn die Hurrikan Zeit hier losgeht (offiziell Juni, effektiv Juli/August) wollen wir aber unbedingt aus dem Hurrikan Gebiet raus sein. Momentan sind alle Grenzen der möglichen Inseln oder Länder, wo wir hin könnten, geschlossen. Je nach Entwicklung der Situation im Land, beginnen nun einige Inseln mit den Lockerungen. Die ABC Inseln bieten sich an. Da waren wir schon, und die Situation scheint dort von den Behörden sehr gut im Griff. Eine andere Alternative wäre weiter südostwärts auf Grenada oder dann Trinidad. Auch hier könnten sich die Grenzen bald öffnen. Hat aber den Nachteil, dass wir alles gegen den Wind ansegeln müssten. Wir sind mit vielen anderen Seglern hier in regem Kontakt. Viele davon ziehen sich nach Europa zurück, oder dann nordwärts in die USA (könnten wir auch, wollen aber nicht). Andere warten einfach mal ab, wie es weiter geht. Man merkt aber deutlich: mit jedem Tag werden die Segler in der Karibik immer nervöser. Wir teilen uns das friedlich auf untereinander: Pia sucht auch unruhiger nach einer Lösung, Köbi bleibt seinem Motto treu: abwarten und Rum trinken. Aber ganz wichtig, beide wissen wir: es kommt schon gut!

Es bleibt spannend – bleib der Lupina im Kielwasser!