Auf Fatu Hiva machen wir uns auf die Suche nach den Spuren von Thor Heyerdahl. Der berühmte Norweger träumte seit seiner Schulzeit davon, selbst auszuprobieren, ob der Mensch von heute im Stil des Steinzeitjägers überleben kann – ohne technische Hilfsmittel, ohne Medikamente. Nach längerem Suchen auf Landkarten, in geographischen Büchern und Reiseberichten früherer Expeditionen nach besonders schönen und einsamen Fleckchen Erde stiess er auf Fatu Hiva in den Marquesas.
Im Jahr 1937 kommt der junge Zoologie Student Heyerdahl mit seiner Gattin Liv zuerst nach Tahiti, wo ein Häuptling die Beiden in die Kunst zu leben und überleben einweist. Kurz danach setzt ein alter Frachter das junge Paar am Zielort aus und verspricht, sie nach einem Jahr wieder abzuholen. Den beiden Zivilisationsflüchtlingen erschein Fatu Hiva paradiesisch: verschwenderische Vegetation, weisser Sandstrand und lauter temperamentvolle und offenbar im Einklang mit der Natur lebende Menschen. Den Fremden wird bereitwillig ein Stück Land auf einer ehemaligen Königsterrasse oberhalb des Dorfes Omoa verpachtet und schnell werden sie mit den Einheimischen vertraut. Ungewollt gerät dann das junge europäische Paar zwischen die Fronten zweier sich rivalisierender Missionare, die Zwietracht und Streit in der Bevölkerung sähen. Von Stechmücken geplagt, gepeinigt von schmerzhaften Geschwüren an den Beinen, müssen die beiden Norweger dann in einem offenen Boot auf dem stürmischen Meer wieder nach Tahiti fahren, um medizinische Hilfe zu suchen. Sie müssen feststellen, dass es für den modernen Menschen tatsächlich kein «Zurück in die Natur» mehr gibt.
Eine andere Erkenntnis hat Thor Heyerdahl bei seinem Aufenthalt auf Fatu Hiva gewonnen: die Menschen, die hier leben, könnten durchaus von Indianern in Südamerika abstammen. Bisher hat man geglaubt, die Besiedlung von Polynesien habe von Asien aus stattgefunden. Hier fasste Thor den Entschluss, durch einen praktischen Versuch zu zeigen, dass man mit einem Floss von Südamerika nach Polynesien kommen kann. Diese erfolgreiche Flossfahrt hat ihn dann weltberühmt gemacht. Schade, dass sich hier in Fatu Hiva keine Spuren dieses praktisch veranlagten Zoologie-Studenten mehr finden lassen.
Wir haben nun die 3 südöstlichen Inseln der Marquesas (Fatu Hiva / Tahuata / Hiva Oa) bereist. Vor allem Fatu Hiva, die kaum je Segelboote sieht, weil sie schwierig anzusegeln ist (Boote, die den Pazifik queren, sind verpflichtet, zuerst auf den weiter westlich liegenden Inseln Hiva Oa oder Nuku Hiva einzuklarieren, und müssten dann gegen Wind und Wellen zurücksegeln) hat uns sehr gut gefallen. Die Marquesas sind ein sehr anspruchsvolles Segelgebiet. Die Vulkaninseln ragen alle steil und schroff aus dem Meer und es hat keine Riffe, welche Wellen und Brandung einbremsen würden. Die einigermassen geschützten Ankerplätze liegen meist auf der Westseite der Inseln. Hier aber gibt es starke und unberechenbare Fall-Böen, die wie eine Ohrfeige auf dich einschlagen können. Der Ankergrund ist meist sehr tief, 15-20 Meter, und es braucht immer viel Kette. Finden wir endlich einen guten Halt, kommt sicher ein nervender Schwell um die Landzunge und macht den Ankerplatz rollig. Gerade das Letztere stört uns aber wenig, wir schlafen herrlich, wenn die Wellen uns so ins Land der Träume befördern. Solange der Anker hält, sind wir glücklich 😉
Als nächstes Ziel nehmen wir uns die 3 nordwestlichen Inseln (Ua Pou / Nuku Hiva / Ua Huka) vor den Bug, bevor wir dann in etwa 4 Wochen wieder nach Hiva Oa zurücksegeln. Dort wollen wir den defekten Motor des Grosssegel Rollmechanismus durch einen temporären Handmechanismus ersetzen, der uns aus der Schweiz zugeschickt wird. Hoffentlich klappt das!
Es bleibt spannend – folge der Lupina im Kielwasser
Am 4. März 2022 ist rund 2 Stunden früher Tagwache als sonst. Was heisst da «als sonst»? Normalerweise gibt es bei uns keine Tagwache, sondern wir stehen einfach dann auf, wenn wir erwachen. Heute aber reisst uns Pia’s Wecker bereits um 6 Uhr in der Früh aus dem Schlaf. Es liegen 800 Seemeilen zwischen uns und Fatu Hiva, unserem ersten Ziel im Marquesas Archipel (Franz. Polynesien). Wir schätzen, dass wir bei sportlichem Tempo etwas mehr als 5 Tage brauchen werden. Wenn wir früh starten, haben wir noch genügend Reserve, so dass wir bei Tageslicht ankommen können. Wobei, das mit dem Schätzen ja schon sehr vage ist, denn nur 1 Seemeile pro Stunde Differenz in unserer Geschwindigkeit macht auf diese lange Distanz schnell mal 1-2 Tage Unterschied aus.
Diesmal wird es eine besondere Reise. Erstmals segeln wir eine solch lange Strecke zusammen mit einem anderen Boot. Das Schweizer Ehepaar Rita und Daniel mit ihrer SY Maramalda begleiten uns auf diesem 800 Seemeilen langen Trip. Das besondere daran, sie segeln auch eine Hallberg-Rassy 43 wie wir, also das gleiche Schiff. Die Beiden sind leidenschaftliche Regatta-Segler und sind via das Kap Horn nach Gambier gefahren. Wer mich kennt, der weiss, dass bei mir bei dieser Konstellation (gleiches Schiff, erfahrene Regattasegler) der sportliche Instinkt geweckt wird, obwohl ich eigentlich gar nicht will. Um es gleich vorweg zu nehmen: so kurzweilig und intensiv war bisher noch keine Überfahrt für uns «Lupinis» (Seewölfe) 😉
Nach kurzer Fahrt unter Motor aus dem Riff vor Rikitea eine ungewollte Überraschung: wir fahren in den Wind und wollen das Grossegel setzen. Wir drücken auf die Taste «Out» des elektrischen Rollmechanismus – aber nichts passiert. Der Motor macht zwar ein Geräusch, wie wenn er drehen würde, aber das Segel kommt nicht aus dem Mast. Als auch ein mehrmaliges Ein- und Ausschalten der Stromzufuhr nichts bringt eine kurze Krisenbesprechung: weiterfahren und das Segel von Hand bedienen – oder zurück nach Rikitea an den Ankerplatz? Pia schüttelt energisch den Kopf und in mir regt sich das Sportlerherz in der Brust. Wir entscheiden uns, die Verfolgung der SY Maramalda aufzunehmen.
In der ersten Nacht holen wir einen guten Vorsprung heraus, bis ein ungewöhnlich langer und heftiger Squall uns einbremst. Da wir unser Grosssegel nicht automatisch reffen können und aus Sicherheitsgründen in der Nacht nicht auf Deck wollen, wettern wir die 28 bis 35 Knoten starken Winde, die fast 1 Stunde anhalten, mit einem Beidrehen ab. Erst als der ganze Spuck vorbei ist und sich das Wetter wieder beruhigt, setzen wir unsere Fahrt fort. Die Maramalda hat mittlerweile wieder zu uns aufgeschlossen. Der Rest der Nacht verläuft dann aber ruhig, und wir holen bis zum Morgen wieder etwas Vorsprung heraus. Dann aber nimmt die Maramalda die Verfolgungsjagd auf. Immer, wenn wir etwas faul und nachlässig werden und unsere Segel nicht optimal nach dem Wind trimmen, kommt sie uns etwas näher. Wir sind nun fast identisch schnell, die Maramalda eher schneller. Manchmal kommt bei uns fast etwas Verzweiflung auf: auch bei vermeintlich bester Segelstellung schaffen wir es nicht, den Vorsprung zu halten. So gewinnen wir die Regatta nicht! Da gibt’s nur eines: noch besser und noch aufmerksamer Kurs und Segelstellung im Auge behalten. Und es gelingt: nach 4 Tagen haben wir rund eine Stunde Vorsprung herausgesegelt. Diesen können wir halten, bis wir uns am letzten Abend gegenseitig über Funk absprechen, dass wir nun die Fahrt drosseln wollen, um nicht in der Nacht am Ziel anzukommen.
Nach genau 5 Tagen und 4 Stunden fällt unser Anker. Vielen Dank, Rita und Daniel, für dieses kurzweilige, spannende, manchmal stressige 😉 aber wunderschöne «Rennen». Wir sind uns bewusst, dass ihr euch mit einem kleineren Vorsegel in den Zweikampf gestürzt habt. In den nächsten Tagen wollen wir uns nun organisieren. Pia will endlich das schon lange fertig gestellte Video der Pazifiküberquerung ins Netz stellen und ich muss mich um den Rollmechanismus des Grosssegels kümmern.
Wir freuen uns auf die neue Insel. Hier auf Fatu Hiva hat der berühmte Zoologe Thor Heyerdahl Ende der 1930 Jahre in und mit der Natur gelebt. Aus seinen Beobachtungen der Leute und der Kultur hat er die Theorie entwickelt, dass die Besiedlung von Polynesien von Südamerika aus erfolgt sein könnte. Hier fasste er den Entschluss, mit einem Floss von Südamerika nach Polynesien zu fahren.
Wir sind Thor Heyerdahl auf der Spur. Es bleibt spannend – folge der Lupina im Kielwasser