Wir sind nun schon 8 Wochen in Gambier und mit jedem Tag gefällt es uns besser. Wir sind in einer ganz eigenen Welt. Man könnte meinen, um uns herum gibt es nichts anderes mehr. Der Kontakt zur Aussenwelt ist stark reduziert. Die Einheimischen gehen gelassen und genügsam ihrem Tageswerk nach und wir entscheiden uns von Tag zu Tag, was wir unternehmen wollen. Manchmal bleiben wir den ganzen Tag auf dem Schiff, lesen oder werkeln an irgendetwas herum, gehen schwimmen und schnorcheln. Wichtige Nachrichten, wie zum Beispiel die Warnung über eine Tsunamiwelle nach dem Vulkanausbruch in Tonga, werden per Funk übermittelt. Verabredungen innerhalb der Seglergemeinschaft machen wir ebenfalls per Funk, oder dann mit einem kurzen Schwatz vom Dinghi aus. Die Uhren scheinen still zu stehen.
Ursprünglich wurde Französisch-Polynesien von Asien, oder wie Thor Heyerdal mit seiner Kontiki beweisen konnte, von Südamerika her besiedelt. Nach der Entdeckung dieser entlegenen Inseln im Südpazifik durch Europäische Seefahrer und der folgenden Kolonialisierung durchmischte sich die Bevölkerung stark. Heute hat fast jeder Einwohner Vorfahren, die hier einmal als Schiffsbrüchige, Meuterer, freiwillige Aussteiger, Missionare, und in der jüngeren Vergangenheit als Segler gestrandet sind.
Die Bewohner sind Selbstversorger. Angebaut werden Yams, Taro und Brotfrucht, sowie alle Arten von tropischen Früchten, und in kleinerem Umfang für den Export Kaffee und Vanille. Lebensgrundlage sind außerdem der Fischfang, Schweine- und Hühnerzucht. Wir erleben die Leute als sehr freigiebig, offenherzig und selbstzufrieden.
Unser Besuch bei Rémy und seiner Frau Ruita zeigt uns einmal mehr in eindrücklicher Weise, wie offen und entspannt die Polynesier sind. Obwohl Beide keine oder wenig Abstammung von der ursprünglichen Polynesischen Urbevölkerung mitbringen, leben sie wie die ursprünglichen Polynesier in Einklang mit Natur und sich selbst. Liegt es am stetigen Rauschen des türkisfarbenen Meeres, am üppigen Grün der Vegetation oder am Überfluss an tropischen Früchten und Gemüse, dass die Leute, die hier leben, so tiefenentspannt sind? In Jamaika haben wir auf unserer Reise den Slogan „no stress“ gelesen, in Costa Rica dann ähnlich «pura vida!». Beides finden wir in Gambier wunderbar vorgelebt und im Wesen der Leute verinnerlicht. Überall, wo wir hinkommen, haben die Leute Zeit für uns, grüssen spontan und lachen uns an. So erleben wir auch den Besuch bei Rémy. Stell dir vor, es kommen zwei wildfremde Leute unangemeldet bei dir zu Hause vorbei und wollen sehen, was du so machst und wie du lebst. Wir würden zuerst mal sehr argwöhnisch reagieren und ich wette, die meisten von uns würden irgendeinen Vorwand finden, den ungebetenen Besuch wieder fort zu schicken. Das ist uns hier in Gambier nie passiert.
In den letzten Tagen sind nun öfters prallvolle Regenwolken über Gambier hinweg gezogen. Der Wind hat dabei innerhalb kurzer Zeit alle möglichen Richtungen eingenommen. Zum Glück blieb er die ganze Zeit über nur auf schwachem Niveau, so dass der Anker auch gehalten hat, wenn er in die andere Richtung eingefahren war. Seit heute nun (hat es wohl etwas mit dem Neumond zu tun?) beginnt sich der stabile Passatwind aus Osten durchzusetzen. Obwohl uns der Abschied von Gambier schwer fällt, rufen neue Abenteuer. Unser nächstes Ziel liegt 800 Seemeilen (5 Tage) im Norden von Gambier: die Marquesas Inseln.
Morgen Freitag früh (lokale Zeit) lichten wir den Anker und lassen uns von Wind und Welle aus dem traumhaft schönen Gambier Atoll nach Norden tragen. Dort erhoffen wir uns endlich ein Internet, wo Pia ihr seit langem fertiges Video von der Überfahrt von Galapagos nach Gambier hochladen kann. Drücken wir ihr die Daumen!
Es bleibt spannend – folge der Lupina im Kielwasser
Wow, wenn wir auf den Kalender schauen, merken wir, dass wir schon mehr als 1 Monat in Gambier sind. Dass wir uns schon länger nicht mehr gemeldet haben, liegt nicht etwa an Langeweile oder Faulheit – im Gegenteil! Wir unternehmen und erleben sehr viel, aber das Internet aus der Zeit vor 2G macht es uns fast unmöglich, euch zeitnah auf dem Laufenden zu halten. Überraschenderweise finden wir zwar bereits am zweiten Tag nach unserer Ankunft ein Internet, das stark und stabil genug ist, unseren Bericht der Pazifiküberquerung hochzuladen. Zu unserer grossen Freude empfangen wir bei dieser Gelegenheit auch viele Mails mit Gratulationen zu unserer gelungenen Überfahrt. Danach fällt aber die Antenne aus, und das ganze Gebiet ist wieder in seiner eigenen, friedlichen Welt. Für das Video der Pazifiküberquerung müsst ihr wohl leider warten, bis wir dann in ein paar Wochen in den Marquesas sind.
Zur Entstehung eines Atolls braucht es einen Vulkan und Korallen. Wenn sich ein Vulkan gebildet hat, beginnt am Übergang von Landmasse zu Meer ein Korallenriff zu wachsen. Meist senkt sich ein Vulkan wieder langsam ab, wenn er erloschen ist. Die Korallen sinken dabei auch ab, aber sie wachsen dabei langsam nach und ihre Spitze bleibt meist immer knapp unter der Meeresoberfläche. Auf den Satellitenbildern von Gambier ist dieses Riff sehr gut erkennbar. Es bildet einen wichtigen Schutzwall für die Inseln und die Menschen, die hier leben. Für den Seefahrer kann so ein Korallenriff aber schnell zur tödlichen Falle werden, wenn er die Einfahrt ins geschützte Atoll nicht findet oder wenn sein Schiff von der oft starken Strömung in der Durchfahrt erfasst und auf das zerklüftete, scharfkantige Riff geworfen wird. Nun, uns ist das zum Glück dank der heute sehr modernen Navigationsmittel nicht passiert. Aber es wird uns wieder einmal bewusst, welche Gefahren die alten Seefahrer auf sich genommen haben, um die Welt zu erkunden. Sie hatten keine Karten, sie hatten keine Wetterdaten. Sie wussten damals noch nicht, wie die globalen Winde verlaufen und erst recht nicht, wo und wie stark die Strömungen verlaufen. Also, ich muss schon sagen, ich habe heute, nachdem wir den Atlantik und einen grossen Teil des Pazifiks überquert haben, einen riesigen Respekt vor den Entdeckern von damals.
Das Tuamotu Archipel besteht aus 76 grösseren Atollen, die sich über rund 1’000 Seemeilen (1’800km) von Südosten nach Nordwesten verteilen. Gambier liegt ganz im Süden und befindet sich am Rande des Zyklon-Gürtels. Vom Dezember bis März muss man auch hier mit diesen Stürmen rechnen. Obwohl Gambier als relativ sicher gilt, werden wir aufmerksam die Wetterlage verfolgen und allenfalls weiter nach Süden «flüchten», falls sich ein Zyklon ankündigt. Aber im Moment herrscht bestes Wetter: tagsüber 30 Grad, in der Nacht kühlt es ab auf 25 Grad, viel Sonne und ab und zu ein Regenschauer.
Wie das übrige Französisch-Polynesien aussieht und wie sich die Leute und das Leben auf den anderen Archipelen und Atollen anfühlen, wissen wir noch nicht. Nach fast 3 Jahren in der Karibik, wo sich viele Dinge, trotz der vielen unterschiedlichen Kulturen und Sprachen, zu wiederholen begannen, ist nun Gambier eine ganz neue Erfahrung. Wir merken, es geht den Leuten gut hier. Sie sind sehr lebensbejahend, fröhlich und in sich zufrieden. Wir fühlen uns sofort wohl und willkommen. Vom ersten Tag an lassen wir den Niedergang unseres Schiffes Tag und Nacht offen. Wir fühlen uns absolut sicher. Wenn es irgendein Problem gibt, ist jeder für den anderen da. Die Menschen sind ausgesprochen hilfsbereit. So weit weg im unendlichen Pazifik sind die Menschen es gewohnt, zu sich selber Sorge zu tragen und Dinge, die im Überfluss da sind, zu teilen. Und irgendwie schön: diese Lebenseinstellung schwappt auch auf die Seglergemeinschaft über.
Es sind rund 20 Schiffe hier auf Gambier. Davon sind die meisten Pandemie bedingt schon länger in Französisch-Polynesien. Schon am ersten Morgen nach unserer Ankunft finden wir in unserem Cockpit ein frisches Baguette (Brot) und erhalten feine Früchte, die andere Segler uns am frühen Morgen bringen. Das Leben tickt hier übrigens eher nach Pia’s Uhr als nach meiner: der Tag beginnt mit dem Sonnenaufgang um 5 Uhr in der Früh. Die Läden öffnen bereits vor 6 Uhr. Frisches Brot aus der Bäckerei ist oftmals nach 7 Uhr bereits ausverkauft. Kurz nach Sonnenuntergang um 19 Uhr wird es ruhig und still im Dorf und auf den Inseln. Die Leute gehen früh schlafen.
Die ersten beiden Wochen sind wir einfach einmal angekommen. Wir haben uns mit unserer Umgebung vertraut gemacht, haben uns eingerichtet und organisiert. Danach beginnt uns wieder die Unternehmungslust zu jucken. Und es gibt viel zu tun! Die einzelnen «Motus» – Koralleninseln – eingerechnet gibt es über 43 Inseln verteilt auf die 450 Quadratkilometer grosse Lagunenfläche.
So, bis hierhin schreib ich mal und versuche, Bilder und Text ins Internet zu stellen. Mit viel Glück und Geduld wird es klappen. Weitere Bilder von Bergbesteigungen, Schnorcheln mit Haifischen und fröhlichen Menschen folgen im nächsten Bericht.
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