Von Gambier nach Fatu Hiva (Marquesas)

Am 4. März 2022 ist rund 2 Stunden früher Tagwache als sonst. Was heisst da «als sonst»? Normalerweise gibt es bei uns keine Tagwache, sondern wir stehen einfach dann auf, wenn wir erwachen. Heute aber reisst uns Pia’s Wecker bereits um 6 Uhr in der Früh aus dem Schlaf. Es liegen 800 Seemeilen zwischen uns und Fatu Hiva, unserem ersten Ziel im Marquesas Archipel (Franz. Polynesien). Wir schätzen, dass wir bei sportlichem Tempo etwas mehr als 5 Tage brauchen werden. Wenn wir früh starten, haben wir noch genügend Reserve, so dass wir bei Tageslicht ankommen können. Wobei, das mit dem Schätzen ja schon sehr vage ist, denn nur 1 Seemeile pro Stunde Differenz in unserer Geschwindigkeit macht auf diese lange Distanz schnell mal 1-2 Tage Unterschied aus.

Diesmal wird es eine besondere Reise. Erstmals segeln wir eine solch lange Strecke zusammen mit einem anderen Boot. Das Schweizer Ehepaar Rita und Daniel mit ihrer SY Maramalda begleiten uns auf diesem 800 Seemeilen langen Trip. Das besondere daran, sie segeln auch eine Hallberg-Rassy 43 wie wir, also das gleiche Schiff. Die Beiden sind leidenschaftliche Regatta-Segler und sind via das Kap Horn nach Gambier gefahren. Wer mich kennt, der weiss, dass bei mir bei dieser Konstellation (gleiches Schiff, erfahrene Regattasegler) der sportliche Instinkt geweckt wird, obwohl ich eigentlich gar nicht will. Um es gleich vorweg zu nehmen: so kurzweilig und intensiv war bisher noch keine Überfahrt für uns «Lupinis»  (Seewölfe) 😉

Frühmorgens kurz nach 7 Uhr winken wir von unserem Ankerplatz vor Rikitea (Gambier) der SY Maramalda zu. Sie sind etwas schneller beim Ankerheben
15 Minuten später sind auch wir soweit und verlassen Rikitea bei schönem Sonnenschein

Nach kurzer Fahrt unter Motor aus dem Riff vor Rikitea eine ungewollte Überraschung: wir fahren in den Wind und wollen das Grossegel setzen. Wir drücken auf die Taste «Out» des elektrischen Rollmechanismus – aber nichts passiert. Der Motor macht zwar ein Geräusch, wie wenn er drehen würde, aber das Segel kommt nicht aus dem Mast. Als auch ein mehrmaliges Ein- und Ausschalten der Stromzufuhr nichts bringt eine kurze Krisenbesprechung: weiterfahren und das Segel von Hand bedienen – oder zurück nach Rikitea an den Ankerplatz? Pia schüttelt energisch den Kopf und in mir regt sich das Sportlerherz in der Brust. Wir entscheiden uns, die Verfolgung der SY Maramalda aufzunehmen.

Nachdem noch ein kräftiger Squall (Regenschauer mit starken Windböen) über uns hinweggezogen ist, setze ich mit der Notkurbel das Grosssegel von Hand
Kurz darauf ist auch die Genua gesetzt und wir nehmen Kurs auf in Richtung Nordausfahrt des Atolls
Der Himmel klart wieder auf. Bald darauf werden wir von der Dünung erfasst und durch Wind und Strömung auf das offene Meer hinausgetragen. Unsere Lupina nimmt die Fährte der Maramalda auf
Durch das Missgeschick mit dem Grosssegel haben wir gut eine Stunde Rückstand auf die SY Maramalda. Über das AIS Signal sehen wir Geschwindigkeit und Abstand zum sportlichen Gegner. Der Wind bläst mit 15 bis 18 Knoten seitlich aufs Schiff. Unter stolz geblähten Segeln legt sich unsere Lupina willig auf die Seite und beginnt ihre Jagd auf die Maramalda. Normalerweise würden wir uns jetzt irgendein stabiles Plätzchen suchen, ein Buch in die Hand nehmen oder ein Nickerchen machen. Diesmal nicht: das Regattafieber hat uns gepackt! Pia nimmt es etwas gelassener als ich, aber auch ihre Augen pendeln dauernd zwischen unserer Geschwindigkeitsanzeige und derjenigen der Maramalda auf dem Bildschirm hin und her. Nach rund 8 Stunden ist der Vorsprung stark geschwunden und die Maramalda liegt in Reichweite
Unsere Lupina schiebt sich langsam auf gleiche Höhe wie die Maramalda
Die Dünung ist fast 3 Meter hoch und lässt unsere Schiffe zeitweise fast verschwinden
Noch vor Einbruch der Nacht schieben wir uns vor die Maramalda und lassen sie im Kielwasser zurück

In der ersten Nacht holen wir einen guten Vorsprung heraus, bis ein ungewöhnlich langer und heftiger Squall uns einbremst. Da wir unser Grosssegel nicht automatisch reffen können und aus Sicherheitsgründen in der Nacht nicht auf Deck wollen, wettern wir die 28 bis 35 Knoten starken Winde, die fast 1 Stunde anhalten, mit einem Beidrehen ab. Erst als der ganze Spuck vorbei ist und sich das Wetter wieder beruhigt, setzen wir unsere Fahrt fort. Die Maramalda hat mittlerweile wieder zu uns aufgeschlossen. Der Rest der Nacht verläuft dann aber ruhig, und wir holen bis zum Morgen wieder etwas Vorsprung heraus. Dann aber nimmt die Maramalda die Verfolgungsjagd auf. Immer, wenn wir etwas faul und nachlässig werden und unsere Segel nicht optimal nach dem Wind trimmen, kommt sie uns etwas näher. Wir sind nun fast identisch schnell, die Maramalda eher schneller. Manchmal kommt bei uns fast etwas Verzweiflung auf: auch bei vermeintlich bester Segelstellung schaffen wir es nicht, den Vorsprung zu halten. So gewinnen wir die Regatta nicht! Da gibt’s nur eines: noch besser und noch aufmerksamer Kurs und Segelstellung im Auge behalten. Und es gelingt: nach 4 Tagen haben wir rund eine Stunde Vorsprung herausgesegelt. Diesen können wir halten, bis wir uns am letzten Abend gegenseitig über Funk absprechen, dass wir nun die Fahrt drosseln wollen, um nicht in der Nacht am Ziel anzukommen.

In der letzten Nacht fahren wir mit stark gerefftem Grosssegel und rollen dieses bei den ersten Sonnenstrahlen am nächsten Morgen ganz weg. Es dauert fast 7 Minuten bis es mit der Handkurbel sicher im Mast eingerollt ist
Da wir erst gegen Mittag am Ankerplatz ankommen wollen und wir gelesen haben, dass es der Insel entlang starke Fallwinde geben kann, segeln wir unter halber Genua langsam nordwärts auf die Insel zu
Noch ist das Zentrum mit starken Wolken verhüllt …
… aber bald trocknet die Sonne die Luft und zeigt uns eine wunderbare Naturlandschaft, die vor Millionen von Jahren durch vulkanische Aktivität geschaffen wurde
Einfahrt in die Ankerbucht «Baie des Vierges» bei Hanavave auf Fatu Hiva
Aussicht vom Ankerplatz in der Baie des Vierges. Baie des Vierges heisst übersetzt: Bucht der Jungfrauen. Angeblich soll der Ursprüngliche Name «Baie des Verges» (Bucht der Penisse) gewesen sein, welcher wegen der Formen des umgebenden Gebirges fast logisch war. Das war natürlich nicht im Sinnen der Missionare, die hierhergekommen sind. Kurzerhand wurde ein «i» in die Bezeichnung geschoben und so gibt es heute die Jungfrauenbucht 😊

Nach genau 5 Tagen und 4 Stunden fällt unser Anker. Vielen Dank, Rita und Daniel, für dieses kurzweilige, spannende, manchmal stressige 😉 aber wunderschöne «Rennen». Wir sind uns bewusst, dass ihr euch mit einem kleineren Vorsegel in den Zweikampf gestürzt habt. In den nächsten Tagen wollen wir uns nun organisieren. Pia will endlich das schon lange fertig gestellte Video der Pazifiküberquerung ins Netz stellen und ich muss mich um den Rollmechanismus des Grosssegels kümmern.

Der Dinghi Landesteg, den wir vorfinden, gefällt uns schon mal sehr gut. Hier ruht unser Lupinchen sicher und geschützt
Endlich ein Internet gefunden!! Die Chancen stehen gut, dass wir demnächst Video und Bericht hochladen können

Wir freuen uns auf die neue Insel. Hier auf Fatu Hiva hat der berühmte Zoologe Thor Heyerdahl Ende der 1930 Jahre in und mit der Natur gelebt. Aus seinen Beobachtungen der Leute und der Kultur hat er die Theorie entwickelt, dass die Besiedlung von Polynesien von Südamerika aus erfolgt sein könnte. Hier fasste er den Entschluss, mit einem Floss von Südamerika nach Polynesien zu fahren.

Wir sind Thor Heyerdahl auf der Spur. Es bleibt spannend – folge der Lupina im Kielwasser