Raroia – wo die Kontiki landete – und Makemo

Kurz vor der Abreise von Hiva-Oa machen wir noch einen gründlichen Check unseres Riggs und stellen fest, dass die steuerbordseitige Hauptwant und eine der kleinen Unterwanten je einen gerissenen Draht aufweisen.

Einer von 19 Drähten in der Hauptwant ist gerissen. Das Rigg ist erst 4 Jahre alt und sollte eigentlich noch einwandfrei sein ☹

Die Konsultation einiger Seglerkollegen, Lieferanten und bei Selden, dem Hersteller des Riggs, ergeben ein sehr unterschiedliches Bild. Von «ja nicht mehr weitersegeln damit!» bis zu «da ist noch viel Reserve drin!» erhalten wir die ganze Bandbreite an Antworten. Wir wollen so schnell wie möglich die defekten Wanten ersetzen, ist aber hier kurzfristig nicht möglich. Wir nehmen mit einem Rigger in Tahiti Kontakt auf. Er hat einen sehr guten Ruf und soll unser Rigg in Tahiti wieder in Ordnung bringen. Mit dem Wissen um dieses Problem segeln wir am frühen Nachmittag des 7. Juni 2022 los und machen uns auf die rund 430 Seemeilen lange Fahrt nach Raroia in den Tuamotus.

Erster Sonnenuntergang nach dem Start in Hiva-Oa

Die Reise zu den Tuamotus wird zu einem der schönsten Törns, den wir bisher auf dem Pazifik absolviert haben. Der Wind kommt konstant mit 12-15 Knoten seitlich aufs Schiff und wir machen trotz defensiver Besegelung (die angerissenen Wanten sitzen in unseren Hinterköpfen) zügige Fahrt. Die Pazifikdünung ist uns gut gesinnt, schön schräg von hinten und nur schwach ausgebildet. Das Deck der Lupina bleibt fast während der ganzen Strecke trocken und nur ab und zu schwappt ein Spritzer über Bord. Aber einmal herrscht kurz Aufregung an Bord: unser Autopilot macht ohne ersichtlichen Grund eine sehr starke Schlangenlinie, will immer wieder 90 Grad vom Kurs abweichen. Unser Adrenalin schiesst kurz hoch! Als aber der zweite Autopilot einwandfrei funktioniert, ist die Welt wieder in Ordnung. Irgendetwas muss den ersten Autopiloten ausser Kontrolle gebracht haben. Auch als wir wieder zurück schalten, beginnt er nach kurzer Zeit erneut mit der Irrfahrt. Erst nachdem wir mit dem Schiff eine komplette Pirouette gedreht haben, die Stromversorgung danach aus- und wieder eingeschaltet haben, funktioniert unser Kollege wieder ganz normal. Für den Rest der Strecke strebt unsere Lupina wieder schnurgerade in Richtung der Tuamotus. Ein etwas mulmiges Gefühl bleibt.

Das Tuamotu Archipel ist das grösste Atoll-Gebiet der Welt und so gross wie Westeuropa. Wie ein grün-blauer Flickenteppich breiten sich die flachen Inseln über die riesige Wasserfläche des Pazifiks aus. Sie gehören ebenfalls zu Französisch-Polynesien und wurden 1844 Teil des französischen Protektorats. Knapp 16’000 Menschen leben auf den Atollen, von denen mehr als 30 bewohnt sind. Es ist anspruchsvoll, hier zu segeln, da überall Korallenriffe und Korallenköpfe knapp unter der Wasseroberfläche lauern. Mit unserem Boot, das 2 Meter Tiefgang hat, muss man aufpassen!

Was ist ein Atoll? Ganz einfach: stell dir eine Badewanne vor, setze diese in einen See und füll sie mit Wasser, bis nur noch der Rand aus dem Wasser schaut. Jetzt hast du ein Atoll. Noch nicht ganz! Das Atoll (die Badewanne) ist eine Erhebung im Meeresgrund (hier in den Tuamotus zwischen 2’000 – 4’000 Meter tief) und ist somit in seiner Höhe fix. Wenn nun der Meeresspiegel durch Ebbe und Flut rauf und runter geht, schwappt immer wieder Wasser über den Rand in die Badewanne oder fliesst daraus hinaus. Über die Jahrmillionen der Entstehung haben sich am Badewannenrand sehr enge, tiefe Gräben gebildet. Durchgänge, durch die das Wasser rein- oder rausfliesst. Da diese Strömungen sehr stark und daher gefährlich sein können, muss man bei der Durchfahrt dieser oftmals auch verwundenen Engstellen, sinnigerweise «Pass» genannt wie die Übergänge in den Alpen, höllisch aufpassen und möglichst den Zeitpunkt wählen, wo die Strömung am geringsten ist. Dies ist meistens im Zeitraum der Fall, wo Ebbe oder Flut ihr Maximum erreichen.

Nach 2 Tagen und 20 Stunden erreichen wir das Atoll von Raroia, unser erstes Ziel. Wir sind etwas angespannt, haben viel über die schwierigen und gefürchteten Einfahrten in die Atolle gelesen. Das Bild zeigt warum: die Einfahrt ist schmal, links und rechts Hindernisse (harte, spitzige Korallenblöcke), die umfahren werden müssen. Der weisse Bereich im Bild ist befahrbar / gelbe Farbe: Inseln / grüne Farbe: Land bei Flut knapp unter Wasser / blaue Farbe: weniger als 5 Meter tief
Idealerweise und aus Sicherheitsgründen versucht man den Zeitpunkt zu erwischen, wo keine oder nur geringe Strömung im Pass herrscht. Wir haben unsere Ankunftszeit so eingeteilt, dass wir kurz vor «Slack-Water», also wo die Strömung im Pass in die andere Richtung kippt, durchfahren können. Auch da herrschen noch rechte Turbulenzen und das Wasser im fahrbaren Bereich ist stark aufgewühlt. Die vielen Wirbel im Wasser erfordern höchste Aufmerksamkeit vom Steuermann. Der kleinste Fehler und unser Schiff wird wie ein Korken auf einen der lauernden Korallenköpfe gespült.
Alles geht gut, und schon eine halbe Stunde nach der Einfahrt ins Atoll liegen wir vor einem kleinen Dorf vor Anker. Das Wasser ist flach wie in einem See!
Im Gegensatz zu den Marquesas Inseln sind nun hier die Hafenanlagen meist sehr gut geschützt vor Schwell und Wellen, da sie im geschützten Atoll drinnen liegen. Unser Dinghi freut sich über den ruhigen Liegeplatz
Es gibt viel zu erkunden für uns! Für die Einwohner der Tuamotu Atolle gibt es einige Herausforderungen. Wasser gewinnen sie unter anderem nur durch das Sammeln von Regenwasser in Zisternen (es gibt nicht genügend Landmasse, wo Grundwasser genutzt werden könnte) und Strom grösstenteils durch Solarzellen oder Dieselgeneratoren. Ausser der Kokospalme wächst hier sehr wenig. Das bedeutet, dass Obst, Gemüse und vieles andere mehr von weit her mit einem Versorgungsschiff, das 1-2 mal pro Monat die Atolle anläuft, importiert und zu den Einwohnern gebracht wird
Vor der Covid Pandemie gab es auf den Atollen ein gut funktionierendes Recycling. Alles, was wieder verwendbar (Recycling!) war, wurde nach Tahiti geschickt, dort sauber getrennt und von da nach Neuseeland zur Wiederverarbeitung verkauft. Da Neuseeland wegen Covid seine Grenzen (auch für diese Mülltransporte) strickte geschlossen hatte, kam die ganze Abfalllogistik zu Fall. Heute landet leider alles wieder, wie vor 20 und mehr Jahren, in Bodenmulden irgendwo im Gelände
Auf Raroia leben rund 200 Einwohner. Sie haben einen eigenen Flughafen, allerdings nur 1 Abflug pro Woche, einen örtlichen Polizisten, eine Krankenschwester und eine Schule für die Kleinsten bis 11 Jahre. Im Bild das Hauptgebäude des Flughafens, direkt dahinter liegt unsere Lupina vor Anker
Die Flugpiste von Raroia endet direkt im Meer
Lupina am Anker vor Garumaoa, dem einzigen Dorf auf Raroia
Garumaoa ist ein kleines Dorf mit freundlichen Menschen. Viele junge Familien mit kleinen Kindern, wenige Alte, so unser Eindruck. Als wir uns nach dem «Magasin», dem Dorfladen, erkunden, werden wir gleich von einer Schar fröhlicher Kinder dorthin geführt
Nach 2 Tagen vor dem Dorf segeln wir weiter auf die Ostseite der Insel. Hier gibt es viele kleine Inseln, Motus, die sich auf dem breiten Riff gegen Wind und Welle behaupten können
Das Riff (Badewannenrand) ist in diesem Bereich massiv und bis zu 500 Meter breit. Östlich davon (links im Bild) das offene Meer, westlich davon liegen wir zusammen mit der SY Pasito (Chris und Ruedi) vor Anker bei den beiden ersten bewachsenen Inseln
Segelyachten Pasito (vorne) und Lupina (Bildmitte) vor Anker am Riff
Die Innenseite eines Riffes ist meist flach abfallend. Das Ufer besteht aus Korallensand oder -Kies
Korallensandbank mit unterschiedlichen Farben – die Natur ist der Künstler
Zusammen mit den beiden Baselbietern Chris und Ruedi (SY Pasito) «erobern» wir uns eine der kleinen Insel. Wir fühlen uns wie Robinson Crusoe 😊
Blick Richtung Westen: unser Lagerfeuer, dahinter unsere Schiffe
Raroia ist das Atoll, wo Thor Heyerdahl und seine 5 Crew-Mitglieder am 7. August 1947, nach 101 Tagen auf See, mit seiner KONTIKI strandete. Er wollte mit seinem Floss aus peruanischem Balsaholz beweisen, dass Polynesien auch von Südamerika aus besiedelt wurde. Wir machen uns auf die Spuren der KONTIKI auf dem kleinen Motu «Tahuna Maru»
Das Motu «Tahuna Maru» liegt nur etwas mehr als eine halbe Meile nördlich von unserem Ankerplatz (Hintergrund)
Wir müssen uns etwas durchs Unterholz auf der kleinen Insel kämpfen, bis wir zum Denkmal an das Ereignis von 1947 vordringen. Was musste es für ein Gefühl gewesen sein, hier nach Monaten treibend auf See mit einem immer brüchiger werdenden Floss angekommen zu sein? Links im Hintergrund ein paar alte, verwitterte Flaggen stolzer Norweger, die ihrem wagemutigen Landsmann dadurch ihre Ehre erboten haben

Nach einer Woche auf Raroia segeln wir gemeinsam mit der SY Pasito weiter zum nächsten Atoll, Makemo. Die Distanz beträgt rund 75 Seemeilen von Pass zu Pass. Die beste Ausfahrtszeit in Raroia ist um die Mittagszeit oder dann kurz nach Sonnenuntergang. Wir entscheiden uns für einen Nachttörn und nehmen die Ausfahrt am Abend. Allerdings warten wir nicht bis zum Slack-Water, sondern fahren noch bei Sonnenlicht, also etwa 1 Stunde früher als ideal, durch den Pass. Wir haben immer noch etwa 4 Knoten Gegenstrom, aber Kari, der starke Motor in der Lupina, schiebt uns sicher durch den Pass ins Meer hinaus. Dort setzen wir gleich die Segel und nehmen bei Sonnenuntergang den Kurs nach Makemo auf. Für die Einfahrt in Makemo haben wir widersprüchliche Angaben. Die eine besagt, Slack-Water in Makemo sei um 9:30 Uhr morgens, rund 2 Stunden nach der Flut, die andere besagt, Slack-Water sei rund 2 Stunden vor der Flut. Uns dünkt das Erste plausibler und wir zielen auf 8 Uhr. Unser Buddy-Boat Pasito befolgt die zweite Theorie und zielt auf eine Einfahrt kurz nach Sonnenaufgang um 5 Uhr. Sie bekommen recht. Wir fahren schlussendlich zwar nur rund eine halbe Stunde nach ihnen durch den Pass, aber uns wirft sich ein schäumender, 4-5 Knoten schneller Strom entgegen. Aber zum Glück haben wir ja Kari und kämpfen uns im Schneckentempo durch den Pass.

Unsere Spur (gelbe Linie) durch den Ost-Pass in Makemo. Deutlich zu sehen, dass uns Verwirbelungen und Strömungsveränderungen immer wieder von der idealen Linie drängen
Einmal im Atoll drinnen, ist wieder alles spiegelglatt und ruhig (nein, das ist nicht unser Einfahrtskanal, wir blicken hier von einer Brücke auf der Insel zu unserem Ankerplatz
Gefährliches Spiel, aber die einheimischen Kinder kennen ihr Gewässer. Immer wieder springen sie von den Felsen am Aussenriff ins heranrollende Meer und lassen sich von den hochschäumenden Wellen wieder auf die Klippen heben
Auf Makemo entdecken wir einen neuen Bewohner an Bord: ein kleiner Gecko (insektenfressende Echse, die sich mit Saugnäpfen an den Füsschen auch auf einer spiegelglatten Wand festhalten kann). Wir sind immer sehr sorgfältig und geben pedantisch Acht, dass wir keine Lebewesen an Bord tragen. Früchte und Gemüse werden, bevor sie an Bord kommen, immer im Meerwasser vorgewaschen. Keine Ahnung, wie es dieses Kerlchen zu uns an Bord geschafft hat. Uns stört es nicht! Wir hoffen, es findet genügend zu Fressen und wird nicht seekrank 😉
Nach 3 Tagen vor dem Dorf Pouheva (rund 300 Einwohner, direkt beim Ost-Pass) fahren wir unter Motor zum östlichsten Punkt des Atolls. Die Wassertiefe im Atoll ist meist 20 Meter oder mehr. Nur ab und zu fahren wir an Korallenblöcken vorbei, die bis nahe an die Oberfläche reichen. Diese sieht man bei gutem Licht aber sehr deutlich. Zum Riff hin nimmt die Wassertiefe langsam ab. Wir ankern in 5 Metern Wassertiefe in feinem Sand. Rings um uns herum vereinzelt kleinere abgestorbene Korallen. Das Bild zeigt einen Überblick unseres Ankerplatzes. Im Hintergrund das geschwungene südliche Riff des Atolls, das immer wieder überspült wird und kaum bewachsen ist. Lupina (rechts) und Pasito (links) in der Bildmitte
Blick 200 Meter über unserem Schiff zum südlichen Ende des Ostriffes. Die dunklen Flecken im hellblauen Meerwasser sind Korallen und Steinblöcke. Sie liegen meist tief genug, um unserem Schiff nicht in die Quere zu kommen, aber wir müssen höllisch aufpassen beim Durchfahren dieses Gebietes
Lupina vor Anker im Osten von Makemo
Einfach paradiesisch – wenn nur diese Gesellen nicht wären: Riff Haie! Schwimmen und schnorcheln am Morgen früh und am Abend vor dem Eindämmern ist auf unbestimmte Zeit jedenfalls gestrichen. Dann nämlich suchen sich die Haie ihr Futter
Dann nehmen wir halt unsere SUPs! Es kann schon sein, dass mal ein Hai neugierig heranschwimmt. Aber weil wir als potentielle Beute zu gross sind für ihn, erlischt das Interesse sehr bald 😉
Mit den SUPs können wir auch in sehr flaches Gewässer, wo unser Dinghi schon lange stecken bliebe. Wir erkunden hier den äussersten südöstlichen Zipfel des Atolls von Makemo
Eine wunderschöne Geschichte: ein Seglerkollege (Mirko von der SY YumYum) schreibt Pia an und erzählt ihr, dass er sehe, wo wir sind, und dass er dort einen alten Mann kennen gelernt habe. Er schickt Pia ein Bild per WhatsApp mit der Aufforderung, doch bei ihm vorbei zu schauen. Das machen wir! Am folgenden Tag fahren wir mit dem Dinghi zur nächsten Hütte, wo wir am Vortag einen Mann gesehen haben. Auch heute ist jemand da, aber eine andere Person. Wir fragen nach «Hubert» – und werden gleich fündig! Pia zeigt Hubert hier das Bild, das sie von Mirko bekommen hat
Hubert lebt nicht hier, wo wir in angetroffen haben. Es ist die Hütte seines Cousins, der aber im Dorf lebt. Hubert geht nur ab und zu mal zum Rechten schauen. Er lebt fast eine Meile weiter nördlich. Als er unser Dinghi sieht fragt er erwartungsfroh, ob wir ihn zu seinem Haus fahren würden. Das machen wir mit grosser Freude und werden mit einer wunderbaren Bekanntschaft belohnt
Hubert ist nun 62 Jahre alt und lebt schon seit 32 Jahren hier auf dem Riff. Im Dorf, wohin er ab und zu mal mit seinem Kanu paddelt, hat er Verwandte. Die meiste Zeit verbringt er damit, den am Aussenriff angespülten Abfall einzusammeln. Einiges davon führt er einem neuen Verwendungszweck zu. Er ist dabei sehr erfinderisch und künstlerisch. Sein Gelände, seine Insel, gleicht einer Mischung aus Museum, Wundertüte und Gärtnerei. Sein ganzer Lebensraum lädt zum Verweilen, Entdecken und Geniessen ein

Hubert fragt uns, ob wir wieder beim Dorf vorbei fahren und ob wir einen Brief für seine Schwägerin mitnehmen würden. Machen wir doch – keine Frage! Am Sonntag wollen wir los, heute ist Freitag. Er muss den Brief aber zuerst noch schreiben. Kein Problem! Wir kommen am Samstag nochmals vorbei und holen seinen Brief ab. Vor Freude über unsere Zusage glitzert eine kleine Träne in seinen Augen. Auch als er uns den Brief (es ist eigentlich nur ein sorgfältig zusammengefaltetes Blatt Papier, einen Briefumschlag hat er gerade nicht) am Samstag übergibt, strahlt er übers ganze Gesicht und es freut uns sehr, dass wir Hubert auf diese einfache Art und Weise glücklich machen können.

Bei Hubert zu Gast

Heute Sonntag wollen wir aufbrechen. Zuerst zum Dorf am Ost-Pass zurück, dann langsam im Atoll drinnen zum westlichen Pass von Makemo. Es tut uns etwas weh, jetzt schon wieder aufzubrechen. Es ist einfach so schön hier. Aber wir haben von der SY Maramalda für die Reparatur des Mastmotors in Hiva-Oa ein Werkzeug ausgeliehen. Das müssen/wollen wir zurückgeben. Die Maramalda ist nun wesentlich schneller weiter gefahren, als erwartet und macht unterwegs viel weniger Halt. Um ihnen das Werkzeug zurückgeben zu können, müssen wir bereits jetzt los in Richtung Fakarava, wo sie sich im Moment aufhalten. Schade, das erfordert eine kurzfristige Beschleunigung unserer Reise durch die Tuamotus und wir segeln so schnell wie möglich nach Fakarava – dabei gäbe es unterwegs ja noch soviel Schönes zu sehen und zu erleben. Unser Wunsch, eine zweite Saison in Französisch-Polynesien anzuhängen, wird immer stärker.

Holen wir die Maramalda ein? Bleiben wir eine weitere Saison in Französisch-Polynesien? Es bleibt spannend – folge der Lupina im Kielwasser!

Segeln in den nordwestlichen Marquesas / Ua-Pou und Nuku-Hiva

Am 4. April 2022 gegen Mittag heben wir den Anker in Atuona auf Hiva-Oa. Heute segeln wir nur 18 Seemeilen um die Westseite der Insel um im Nordwesten in einer einsamen Bucht zu übernachten. Erst am Tag darauf im Morgengrauen wollen wir die verbleibenden rund 65 Seemeilen in Angriff nehmen. Bei ordentlichem Wind sollten wir unser neues Ziel, die Bucht Vaiehu auf der Insel Ua-Pou, noch bei Tageslicht erreichen. Falls wir wider Erwarten mehr als 12 Stunden brauchen sollten, dann wäre ein Ankern auch im Dunkeln möglich, da die Bucht sehr offen und gross ist.

Bevor es los geht noch eine kleine Schrecksekunde: beim Anker auf im Hafenbecken von Atuona kommt die Kette als grosser Klumpen hoch. Sie hat sich auf dem Meeresgrund um einen alten Draht verwickelt und wir mussten sie zuerst freischneiden, bevor wir die Kette vollständig einholen und den Anker bergen konnten
Auf der Überfahrt ist der Wind deutlich schwächer als angesagt und wir brauchen etwas über 12 Stunden bis in die Bucht von Vaiehu. Aber es reicht: gerade bei Sonnenuntergang fällt der Anker und wir können das wunderschöne Farbenspiel des Abendhimmels gleichzeitig mit dem Ankertrunk geniessen
Die etwa 125 km² grosse Insel Ua-Pou ist die drittgrösste der Marquesas. Das spektakuläre Landschaftsbild wird geprägt von steilen, an Kirchtürme oder Zuckerhüte erinnernde Gipfel. Sie rechtfertigen den Namen Ua-Pou, übersetzt „Zwei Säulen“. Der Name geht auf eine Legende zurück: Bei der Errichtung der „Erde der Männer“ (polynesisch: te fenua enata, der alte polynesische Name für die Marquesas) schufen die Götter als erstes die Säulen des grossen irdischen Hauses: die Berge von Ua-Pou (Quelle: Wikipedia)

Wie alle anderen Inseln auf den Marquesas gehört auch Ua-Pou zur Kette von Vulkanen, der sogenannten Marquesas linear volcanic chain, die sich über einem «Hotspot» der pazifischen Platte gebildet hat. Die Inseln bewegen sich heute mit einer Geschwindigkeit von 103-118 mm pro Jahr in Richtung West-Nordwest. Die magmatischen Gesteine der Insel sind 2.5 bis 4.8 Millionen Jahre alt. Aber woher kommen diese speziellen, säulenförmigen Berge? Es wird vermutet, dass sich in einem ersten Schritt basaltische Lava schildartig aufgeschichtet hat. Durch Erdverschiebungen entstanden in einem zweiten Schritt Risse, durch die wiederum Lava emporsteigen konnte. Diese erkaltete dann nur sehr langsam in ihren kaminartigen Kanälen und es kam zur Formation von phonolytischem (wenn man daran klopft klingt es fast wie Glas) Gestein, das sehr hart ist. Die Erosion trug in der Folge die Basalt-Ablagerungen um die «Kamine» ab, und zurück blieben die für Ua-Pou so typischen Zeigefinger.

Hakahetau, Ua-Pou: nach 3 Tagen am Ankerplatz in der unbewohnten Bucht von Vaiehu (anlanden können wir wegen starkem Wellengang leider nicht) verlegen wir zum kleinen Dörfchen Hakahetau. Auch hier ist der Schwell gross, aber dank eines Heckankers, der das Dinghi von der rauen Betonmauer fernhält, können wir am Pier festmachen
Von Hakahetau aus wollen wir uns diese Berge etwas näher anschauen. Während unseres ganzen 14-tägigen Aufenthaltes auf Ua-Pou sollten wir den höchsten Berg der Marquesas, den Pou Oave (1’232m hoch, links im Bild) nie ohne Wolken sehen
Bevor wir uns an die steilen Berge wagen, wollen wir uns zuerst etwas gemütlicher «einlaufen» und machen uns auf zu einem Wasserfall, der sich in einem der beiden Täler befindet, die in Hakahetau ins Meer münden. Den Wasserfall finden wir zunächst nicht, dafür treffen wir auf diese Schilder: Manfred, der Schoko Mann. (Achtung: falls jemand unsere Wanderung zum Wasserfall nachmachen will: genau hier zweigt der Weg rechts zum Wasserfall ab)
Manfred Drechsler – der berühmte Schokolade-Mann

Manfred (seine Cousine ist die berühmte ehemalige Ostdeutsche Spitzensportlerin Heike Drechsler) ist 1987, noch vor dem Fall der Mauer, aus der DDR nach Franz. Polynesien geflüchtet. Obwohl er damals weder französisch noch englisch sprach, gelang es ihm, sich als Helikopter Pilot ausbilden zu lassen. Von Tahiti aus, wo er rund 8 Jahre lebte, flog er zunächst Kabel und andere Baumaterialien für die Stromversorgung auf die Inseln, später VIP Touristen. 1995 kam er dann mit einer hübschen Polynesierin, Thérèse, die in Hakahetau ihre Familie hat, nach Ua-Pou und konnte auf einem Stück Land der Familie am Ende eines Tales sein kleines Reich aufbauen. Zufällig fand er auf seinem Gelände die eher selten vorkommenden Kakaopflanzen und bemerkte, dass hier niemand etwas mit dieser Frucht anzufangen wusste. Im Selbststudium eignete er sich sehr schnell ein Basis Wissen an, das ihn befähigte, seine erste eigene Schokolade herzustellen. Heute gilt der Selfmade-Chocolatier und Erfinder als Geheimtipp für polynesische und ausländische Touristen. Er nimmt sich viel Zeit für uns und lässt uns von seiner Schokolade probieren. Fragen über Rezept oder Mengen blockiert er süffisant lächelnd: «Geschäftsgeheimnis!»

Manfred ist ein Tüftler und Erfinder, wie er im Buche steht: hier hat er sich aus ausrangierten Auto-Lichtmaschinen, einer alten Bratpfanne (dient als Schwung und Antriebsrad) und Stücken von PVC-Schläuchen, die er halbiert als Schaufeln zu einem Wasserrad zusammengebastelt hat (in der Blechkiste drin), eine Wasserturbine gebastelt, mit der er seinen eigenen Strom produziert
Bei Manfred treffen wir eine Reisegruppe mit polynesischem Reiseführer. Wir fragen ihn nach dem Einstieg in den «Poumaka-Trail», eine der abenteuerlichsten Wanderungen in den Marquesas. Am nächsten Tag machen wir uns auf zu dieser rund 5-stündigen Wanderung um die schönsten Berge der Marquesas
Früh am Morgen geht es (diesmal in Wanderschuhen statt Flip-Flops 😉) von Hakahetau aus los. Die Berge «Poutemoka» und «Totamahiti» liegen noch in weiter Ferne
Je weiter wir ins Tal vordringen, umso steiler geht es bergauf. Zunächst noch auf einem Naturweg …
… nach rund einer Stunde aber auf einem schmalen Trampelpfad durch die üppige Vegetation. Die Verschnaufpausen von Pia geben mir die Zeit, den weiteren Verlauf des Weges zu suchen 😉
Immer grüner – immer steiler!
Nach fast 3 Stunden ist das Ziel unserer Wanderung, der «Poumaka», zum Greifen nahe. Wir dringen noch bis an seinen Fuss vor, lassen das Klettern dann aber sein 😉
Den höchsten Berg, den Pou Oave, sehen wir auf der Wanderung nur komplett von Wolken eingehüllt. Erst als wir wieder unten sind gelingt uns dieses «fast» wolkenlose Bild
Wir segeln weiter zum Hauptort im Nordosten der Insel: Hakahau, mit rund 700 Einwohnern die dritt grösste Siedlung in den Marquesas. Hier finden wir hinter einer massiven Hafenmole einigermassen Schutz vor den hereinrollenden Wellen
In Hakahau können wir ein Auto mieten. Die Hauptverbindungsstrasse, welche die einzelnen Dörfer miteinander verbindet, ist mehrheitlich betoniert und gut ausgebaut. In die entlegenen Täler gelangen wir aber fast ausschliesslich auf Naturstrasse und wir sind glücklich über unseren robusten 4×4 Mietwagen
An der Westküste von Ua-Pou das kleine Dörfchen Hakamaii. Die Fassade der Kirche ist zum Meer hin rot, gelb und blau bemalt, so dass man aus der Distanz meinen könnte, es seien farbige Fenster
Kaum steigen wir in Hakamaii aus dem Auto, zeigen uns die Kinder ihre Künste auf Stelzen

Nach rund 2 Wochen auf Ua-Pou zieht es uns weiter zur nächsten Insel: Nuku-Hiva. Nuku-Hiva zählt wie Ua-Pou geographisch zur Nordgruppe der Marquesas-Inseln. Mit einer Fläche von etwa 340 km² und 2.660 Einwohnern ist sie die grösste und bevölkerungsreichste Insel der Marquesas. Hier befindet sich der aktuell einzige Einklarierungsort der Marquesas, und die meisten Segler, die vom amerikanischen Kontinent her den Pazifik queren, laufen als erstes Nuku-Hiva an.

Die grosse Bucht von Taiohae, dem Hauptort von Nuku-Hiva und gleichzeitig Verwaltungszentrum der Marquesas. Dieser gut geschützte Hafen wird gerne von Weltumseglern als Zwischenstation genutzt. Bei unserer Ankunft sind bereits rund 90 Schiffe vor Anker, aber es hat noch viel Platz. Die «Hochsaison» für die Pazifik-Überquerungen neigt sich dem Ende zu. Schon nach ein paar Tagen sind nur noch knapp 60 Schiffe da
Wir stossen mit den beiden Schweizern Chris und Ruedi auf ihrem Schiff «Pasito» auf ihre soeben erfolgreich absolvierte Pazifiküberquerung an
Ein Symbol für die Ewigkeit! Tiki Tuhiva, grösste Skulptur (12 Meter hoch) im Pazifik, befindet sich auf dem gleichnamigen Hügel (der im 18. und 19. Jahrhundert in Fort Collet umgetauft war), der direkt hinter dem alten Hafen liegt. Nachdem überlieferte Traditionen und Gepflogenheiten der Polynesier nach der Entdeckung und der darauffolgenden Missionierung fast gänzlich in Vergessenheit geraten waren, hat man sich in den letzten Jahrzehnten wieder an die grossartige Vergangenheit erinnert. Im Jahr 2013 wurde in einer lokalen Volksabstimmung beschlossen, dass auf dem Hügel Tuhiva wieder ein Tiki stehen soll.
Gestärkt durch die Kraft der Vorfahren, welche er von seiner sitzenden Tiki Mutter geerbt hat, schreitet Krieger Tuhiva mutig als Wächter von Tradition und Weisheit in die Zukunft
Mutter Tiki Tuhiva – und irdischer Trommler 😉
Auch in Nuku-Hiva «erfahren» wir die Insel mit einem 4×4 Mietauto. Unterwegs nach Hatiheu im Norden besuchen wir die Kultstätte Tohua Kouveva. Für einmal fasziniert uns die Natur mehr als alte Steine: Dieser Baum steht über 20 Meter hoch auf seinen dünnen Wurzeln. Pia (im gelben Kreis) als Grössenvergleich
Hatiheu, im Norden von Nuku-Hiva mit seinen markanten Bergen
Die stark zerklüftete Nordküste weist im östlichen Bereich eine fruchtbare Vegetation auf
Weiter im Westen wird die Gegend immer trockener. Auch die Farben des Geländes ändern sich stetig, je nach vorherrschenden Mineralien im Boden
Einmal im Gegenuhrzeigersinn um die Insel, und nun zurück an einem Aussichtspunkt oberhalb unserer Ankerbucht in Taiohae
Die Rundfahrt um die Insel ist nicht nur für den Fahrer sehr spannend. Auch die Passagiere (Pia und SY Pasito Crew Chris und Ruedi) sind fasziniert von den grossen Unterschieden, wie sich die Landschaft hinter jedem Bergübergang im nächsten Talabschnitt wieder präsentiert
Bei einem gemütlichen Sundowner auf der Lupina lassen wir mit Chris und Ruedi (SY Pasito) einen spannenden Tag in die Nacht übergehen
Hat uns in den südöstlichen Marquesas die gewinnende Kontaktfreude der Einheimischen fasziniert, stellen wir in den nun deutlich touristischeren Gegenden eine vornehme Zurückhaltung (oder Übersättigung?) fest. Einzig die Kinder sind überall gleich. Sie treten allem Fremden gegenüber interessiert, neugierig und offen auf. Hier haben ein paar Mädchen Pia beim Benutzen des Computers beobachtet und wollen nun von ihr wissen, wozu sie das Ding benutzt und wie das mit der Maus funktioniert
Tattoo – Vor der Entdeckung von Polynesien war das Tätowieren des ganzen Körpers eine Normalität. In verschiedenen Zeichnungen wurde die Lebensgeschichte des Trägers, seine Sorgen und Wünsche, seine Vergangenheit und Zukunft, einfach sein ganzes Leben dargestellt. Je intensiver der Körper eines Menschen tätowiert war, umso mehr hat er in seinem Leben schon erfahren
Als die Missionare kamen, wurden es den Menschen verboten, nackt herumzulaufen. Die Kuna-Indianer in Panama haben das Problem so gelöst, dass sie ihre Zeichnungen auf Gewebe stickten und dieses auf ihre Kleider nähten (Molas). Hier in Polynesien verschwand diese Kultur leider fast gänzlich. Zum Glück haben sich die Menschen in den letzten Jahrzehnten an ihre Vergangenheit erinnert und die Tattoos sind wieder zurück. Wie in der Vergangenheit erzählen sie wieder die Geschichte des Menschen, der das Tattoo trägt
Unsere neue Errungenschaft! Pia hat ihre Geschichte auf dem Fuss tätowieren lassen 😉

Bis jetzt habe ich nur über uns und unsere Erlebnisse berichtet. Was macht eigentlich unsere Lupina? Sie leidet! Der Ankerplatz hier in Taiohae ist sehr rollig, und das Wasser ist aufgewühlt und trüb. Das Unterwasserschiff wird von hunderten kleinen Muscheln und Algen angefallen. Übers Wochenende sind wir 8 Seemeilen in eine Nachbarbucht, aber da war das Wasser auch nicht viel besser, vielleicht etwas klarer und sauberer als in Taiohae (Anmerkung: auch wenn zur Zeit nur noch 60 Schiffe vor Anker sind – das Abwasser muss ja irgendwo hin!). Wir haben die Gelegenheit benutzt und das Unterwasserschiff so gut wie es ging sauber gemacht. Lupina scheint sich über die misslichen Zustände zu beschweren. Dinge, die bisher prima funktioniert haben, beginnen zu spuken: eine der WC Pumpen macht plötzlich beängstigende Geräusche, der Generator springt wieder nicht zuverlässig auf Knopfdruck an und andere so kleine Dinge. Dabei ist das Wichtigste, der elektrische Antrieb vom Rollmechanismus des Grosssegels, noch immer nicht repariert. Das benötigte Teil hängt in der Schweiz fest. Man glaubt es kaum: bisher war immer noch kein Versand möglich aus uns nicht verständlichen Gründen. Das dauert nun schon seit 4 Wochen so. Wir haben nun die Flucht nach vorne gewagt und jemanden gefunden, der uns besuchen kommt und das benötigte Teil im Koffer mitnimmt. Sämi heisst unser Retter! Er sucht nun gerade einen Flug und kommt in den nächsten Tagen auf die Lupina.

Der Blick in die Zukunft. Wohin trägt der Wind uns als nächstes: Ua-Huka, die kleine Nachbarinsel im Osten? Zurück nach Hiva-Oa mit Sämi und dem lange ersehnten Teil für die Reparatur des Grosssegels? Weiter in den Marquesas gemeinsam mit Booten von Freunden (SY Maramalda, die in Hiva-Oa auf uns wartet – SY Limelight, die in etwa 5 Tagen aus Mexiko hier eintrifft – SY Pasito, die gerade um Nuku-Hiva herumsegelt) oder weiter in die Tuamotus, wohin uns die SY Swiss Lady vorausgesegelt ist?

Es bleibt spannend – folge der Lupina im Kielwasser

Nachtrag: hast du Probleme mit all den schwierigen Ortsbezeichnungen? Geht uns auch so!😊😊